Kinematographie, Mikroskop und Ultramikroskop.
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wir mit n die scheinbare Ablaufgeschwindigkeit der Erschei¬
nung und kondensieren letztere. Auf diese Weise werden Einzel¬
heiten, die in Wirklichkeit dem Auge unbemerkbar sind, weil
sie sich während einer sehr langen Zeit entwickeln, in die pas¬
senden Grenzen gebracht, die für die Beobachtung nötig sind.
Dabei muss bemerkt werden, dass diese Entstellung der Wirk¬
lichkeit genau im umgekehrten Verhältnis zu dem steht, was
man durch direkte Untersuchung mit dem Auge erhält. Was
wir hier im Eilm aufnehmen, sind äusserst langsam vor sich
gehende Umwandlungen, die notwendigerweise unserem Auge
bei der Beobachtung entgehen. Plötzliche, rasche kleine Verän¬
derungen dagegen, die im Zeitintervall zwischen zwei aufein¬
ander folgenden Bildaufnahmen leicht eintreten, können der kine-
matogr. Aufnahme in ihren genauen Einzelheiten entgehen, und
wir konstatieren im Film nur ihre Summierung. Nun sind es
aber eben diese Einzelheiten allein, die das Auge bei einer lang¬
sam verlaufenden Erscheinung zu erfassen, zu prüfen imstande
sind, mit Ausschluss der anderen. Diese Eigenschaft des lang¬
sam arbeitenden Kinematographen, der alle gewöhnlich und all¬
gemein unsichtbaren Einzelheiten erfasst und die gewöhnlich
beobachteten bei Seite schiebt und unberücksichtigt lässt, stei¬
gert das Interesse für diese Methode immer mehr.
Im allgemeinen Teile haben wir gesehen, dass die erste
Methode, die der schnellen Kinematographie, beginnend mit
der von Marey gegebenen Anregung, wichtige Resultate ge¬
liefert, eine grossartige Entwicklung gehabt und mannigfache
Verwendung bei den Problemen der Locomotion der Tiere, der
Physiologie, der angewandten Mechanik usw. gefunden hat. Die
zweite Methode, die langsame. Kinematographie, ist viel we¬
niger verwertet worden und sie diente meist zur Verwendung
in der Mikroskopie. Marey benutzte sie erstmalig vor einer
Anzahl von Jahren, um das Aufblühen einer Blüte von Volubi¬
lis zu studieren. Nachdem späterhin L e-D a n t e c (1897) er¬
neut auf den Wert des Verfahrens für wissenschaftliche Untersu¬
chungen sowie auch für die Zwecke der Belehrung hinwies,
griffen P i z o n und Bull (1904) beim Studium der Entwick¬
lung einer Kolonie von B o t r y 11 u s darauf zurück.
Im Jahre 1,909 untersuchte Ries, zuerst im Institut Marey
in Paris, später in Banyuls s M, mittels der langsamen Kine¬
matographie die embryonale Entwicklung des Eies von Echinus,
\on der Befruchtung bis zum Erscheinen der Segmentierungs¬
höhle; die Photographien wurden zu je 7 in der Minute aufge¬
nommen. Die erhaltenen Bilder sind auf den Tafeln der Ries-
sehen Abhandlung wiedergegeben. Aber Chevroton undV1 ès,
die sich später, wie wir sogleich sehen werden, mit denselben
Studien beschäftigten, zweifeln auf Grund ihrer Ergebnisse daran,