Solch konkreter Faßbarkeit sind die psychischen Energien
ebenso unzugänglich wie sie andrerseits der Auffassung als ab¬
strakter Hilfsbegriffe widersprechen. Sie sind im Gegenteil von
durchdringender Fülle wie eben nur Erlebnisse jener Unterschicht,
die nach Ed. von Hartmann zugleich eine Unbewußtheit und
ein metaphysisches Überbewußtsein darstellt1). Die ganze ma¬
gische Übertragbarkeit der Musik, das Fluidum, das sich vom
Kraftstrom des tönenden Kunstwerks zur mitschwingenden Energie
des Aufnehmenden überträgt, beruht auf ihnen2). Die Intensität
nun, in der sie bei den einzelnen Personen die eigene Innendyna¬
mik mit erwecken, ist zweifellos sehr verschieden und ein Haupt¬
kennzeichen musikalischer Veranlagung. Bei manchen kommt sie
nicht über ein willenloses Mitgleiten mit den Klangreizen hinaus;
dabei wird natürlich auch die Tonbewegung mitgemacht, aber es
bleibt ein großer Unterschied, ob sie in mitschöpferischer Grund¬
macht erlebt oder ob sie mehr passiv, schwächlich mit überstreift
wild, als sei sie etwas sekundäres. (Man muß sich nur vergegen¬
wärtigen, wie verschieden z. B. Akkorde auf Individualitäten
wirken ; für den einen bleiben sieKlangreize, gewissermaßen außerhalb
des Lebenszentrums, andere Naturen bemächtigen sich ihres ganzen
inneren Lebens und Dranges.) Es scheint insbesondere, als sei
bei vielen Personen (namentlich bei ausgeprägter rhythmischer
Veranlagung) die Empfänglichkeit für die fließenden Bewegungs-
*) Daß es im wesentlichen verborgene, außerhalb der Yer Standesschicht
sich abspielende Vorgänge sind, zeigt sich schon an einer psychologischen
Alltagsbeobachtung. Selbst schwungvolle Vorstellung von Melodien oder
Klangzügen, sogar ein lautes Summen verträgt sich ohne weiteres mit einer
gleichzeitigen Denktätigkeit, ohne sie zu stören, ja sie wirkt oft dauernd
unter dieser (z. B. während des Lesens) unbemerkt fort. Im Gegensatz hier¬
zu können normal begabte Menschen nicht gleichzeitig zwei Gedanken¬
gänge verfolgen. Das beweist, daß sich die musikalischen Vorstellungen in
einer Schicht abspielen, durch welche die Denktätigkeit nicht behindert
wird. Wenn sie bei vielen sogar das Denken zu beleben scheinen, so bedarf
auch das keiner weiteren Erklärung, wenn man sich den motorischen Grund¬
charakter dieser psychischen Aktivität vergegenwärtigt, ganz davon zu
schweigen, welche unmittelbar geistigen Impulse von der Musik ausgehen
können. Auch ist hier daran zu erinnern, daß sich im Gegensatz zu gleich¬
zeitigen Gedankengängen gleichzeitige Melodien ohne weiteres verfolgen
lassen.
2) Vgl. S. 21, Anm. 1.
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