Ueber die Schwierigkeiten des demonstrativen Unterrichts etc.
103
typischen Erscheinungsformen krankhafter Prozesse ebenso fest im Ge¬
dächtnis haften, wie ihre Definitionen, makroskopisch wie mikroskopisch.
In den meisten Fällen wird der Unterricht nach der von Yirchow ein¬
geschlagenen Richtung so erteilt, dass zunächst ein Kolleg über allge¬
meine Pathologie und pathologische Anatomie gelesen wird, im nächsten
Semester ein solches über spezielle pathologische Anatomie und dass
neben diesen Hauptkollegs Demonstrationskurse, mikroskopisch-histo¬
logische und Sektionskurse gehalten werden zur Einführung in praktische
Arbeiten. Gelegentlich finden auch diagnostische Kurse, meist an makro¬
skopischen Objekten, statt. Es ist selbstverständlich, dass jeder Ver¬
treter unseres Spezialfaches seine individuellen Ansichten über die beste
Art des Unterrichts hat und demgemäss mehr das eine oder andere be¬
vorzugt. Wenn ich selber noch einmal als Student pathologische Ana¬
tomie lernen müsste, würde ich den meisten Vorteil haben, wenn ich
folgende Kollegs und Kurse hören könnte: im ersten Semester allge¬
meine Pathologie und pathologische Anatomie mit redit eindringlichen
Demonstrationen makroskopischer und mikroskopischer Präparate, da¬
neben einen propädeutischen Kursus zur Erlernung der Methodik und
Arbeitsweise. In der normalen Anatomie lernen die Studenten Form
und Lage, Gefäss- und Nervenversorgung kennen, aber das normale,
frische, der Leiche eben entnommene Organ nach Farbe, Blutgehalt und
Struktur als normal zu erkennen, vermag nur selten einer, wie ich mich
durch vielhundertfache Versuche überzeugt habe. Wer kann Pathologi¬
sches erkennen, der nicht Normales kennt? Das ist die grösste Schwie¬
rigkeit für den Lehrer der Pathologie. Er muss entweder Vorkenntnisse
des Studenten als vorhanden annehmen, die er nicht besitzt, oder un¬
endliche Zeit und Arbeit aufwenden, um sie nachzuholen. Der Student
seinerseits baut ohne das richtige Fundament, er versteht mangels einer
Einführung vieles nicht, das Wie und Warum bleibt ihm dunkel. Ich
komme darauf noch zu sprechen. Im zweiten Semester würde ich dann
einen systematischen Demonstrationskursus hören mögen, in dem organ¬
weise makroskopisch und mikroskopisch die Lehren der allgemeinen
Vorlesung auf die Spezialerkrankungen übertragen, mir an frischem und
konserviertem Material gezeigt würden. Durch die Verbindung von De¬
monstration und Kolloquium kann sich der Lehrer überzeugen, ob richtig
gesehen und verstanden ist, und die Lässigen anspornen. Hierzu dürften
täglich zwei Stunden nötig sein. Die theoretische Vorlesung über spe¬
zielle pathologische Anatomie könnte wegfallen. Im dritten Semester