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Die physikalische Erklärung dieses Phänomens, das sich jedoch
nicht an allen trüben Körpern, z. B. nicht an mattgeschliffenen
Glasplatten zeigt, würde uns hier zu weit von unserem Wege
abführen. Durch das trübe Mittel soll nach Goethe dem Lichte
etwas Körperliches, Schattiges gegeben werden, wie es zum Ent¬
stehen der Farbe nothwendig sei. Schon bei dieser Vorstellung
geräth man in Verlegenheit, wenn man sie als eine physikalische
Erklärung betrachten will. Sollen sich etwa körperliche Theile
zu dem Lichte mischen und mit ihm davonfiiegen? Auf dieses sein
Urphänomen sucht Goethe alle übrigen Farbenerscheinungen
zurückzuführen, namentlich die prismatischen. Er betrachtet alle
durchsichtigen Körper als schwach trübe und nimmt an, dass das
Prisma dem Bilde, welches es dem Beobachter zeigt, von seiner
Trübung etwas mittheile. Hierbei ist es wieder schwer, sich
etwas Bestimmtes zu denken. Goethe scheint gemeint zu
haben, dass das Prisma nie ganz scharfe Bilder entwerfe, sondern
undeutliche, verwaschene; denn in der Farbenlehre reiht er sie
an die Nebenbilder an, welche parallele Glasplatten und Krystalle
von Kalkspath zeigen. Verwaschen sind die Bilder des Prisma
allerdings im zusammengesetzten Lichte, vollkommen scharf da¬
gegen im einfachen. Betrachte man, meint er, durch das Prisma
eine helle Fläche auf dunklem Grunde, so werde das Bild vom
Prisma verschoben und getrübt. Der vorangehende Rand desselben
werde über den dunklen Grund hinübergeschoben, und erscheine
als helles Trübes vor dunklem Blau, der hinterher folgende Rand
der hellen Fläche werde aber von dem vorgeschobenen trüben
Bilde des danach folgenden schwarzen Grundes überdeckt und
erscheine, als ein Helles hinter einem dunklen Trüben, gelbroth.
Warum der vorgeschobene Rand vor dem Grunde, der nach¬
bleibende hinter demselben erscheint, und nicht umgekehrt, er¬
klärt er nicht. Man analysire aber diese Vorstellung weiter und
mache sich den Begriff des optischen Bildes klar. Wenn ich einen
hellen Gegenstand in einem Spiegel ahgebildet sehe, so geschieht
dies deshalb, weil das Licht, welches von jenem ausgeht, von dem
Spiegel gerade so zurückgeworfen wird, als käme es von einem
Gegenstände gleicher Art hinter dem Spiegel her, den das Auge
des Beobachters demgemäss ahbildet, und den der Beobachter
deshalb wirklich zu sehen glaubt. Jedermann weiss, dass hinter
dem Spiegel nichts Wirkliches dem Bilde entspricht, dass auch
nicht einmal etwas von dem Lichte dort hindringt; sondern dass
das Spiegelbild nichts ist als der geometrische Ort, in welchem die