522 Kap. XXIII. Der Raum der Gesichtswahrnehmung.
Sie sind selbst nicht immer Vorgänge innerhalb derselben Mus¬
keln. Dass diese verschiedenartigen Vorgänge, bezw. unsere Em¬
pfindungen davon, dennoch die Schuld tragen sollten, dass jene
Teile des Gesichtsfeldes gleich gross erscheinen, dies wäre ein
Wunder zu nennen. Aber auch wie die Innervationsempfindungen
daran Schuld sein sollten, ist undeutlich. Auch sie sind ja
unter Voraussetzung verschiedener Anfangsstellungen des Auges
verschieden. Um von einem Lichtpunkte, der der Ebene angehört,
die wir senkrecht zur Verbindungslinie beider Augen durch deren
Mitte gelegt denken können, nach einem in gewisser seitlicher
Entfernung a befindlichen Lichtpunkte zu gelangen, kostet mich
vielleicht gar keine irgendwie auffallende Anstrengung, während
ich von einem genügend seitlich gelegenen Punkte zu einem noch
seitlicheren nur mit grösster Anstrengung übergehe, auch wenn
die seitliche Entfernung der beiden kleiner ist als a.
Dieser Incongruenz entgeht man auch nicht, wenn man etwa
irgendwelche Grundstellung des Auges zum gemeinsamen Ausgangs¬
punkt für alle Messungen macht. Ich habe vor mir eine Gerade
ab. Ihren Mittelpunkt m fixire ich in der Grundstellung. Nun
wende ich das Auge einerseits nach a, andrerseits nach b. Dann
erfordern zwar diese beiden Wendungen annähernd gleiche Kraft¬
anstrengungen, am und mb können also gleich erscheinen. Aber
auch am hat wieder Teile. Denken wir es etwa in zwei gleiche
Teile ap und pm geteilt. Der Weg von m nach p erfordert eine
gewisse Kraftanstrengung, aber der weitere Fortschritt von p nach
a erfordert nicht die gleiche, sondern eine grössere Kraftanstren-
gung. ap müsste also grösser erscheinen.
Aber weiter. Wir nehmen auch an Objekten, über die
wir unsern Blick nicht wandern lassen, eine bestimmte Grösse
wahr. Die Grösse würde nach der in Rede stehenden Anschauung
bestimmt auf Grund des Bewusstseins von der Bewegungsan¬
strengung, die erforderlich wäre, wenn wir den Blick darüber
wandern Hessen. Aber woher haben wir das Bewusstsein? An¬
genommen, der Gegenstand sei ein bekannter. Wir sehen ihn
seitlich ; aber wir haben ihn auch schon direkt gesehen und den
Blick über ihn bingehen lassen. Wir wissen zugleich, was wir
jetzt seitlich sehen, ist mit dem ehemals direkt Gesehenen iden¬
tisch. Wir vermögen dann ohne Zweifel die ehemals aus der
Wanderung des Blicks gewonnene Grössenanschauung in Gedanken