440
Kap. XIX. Die Dinge und die Persönlichkeit.
und den reproduktiven Vorstellungsinhalten, zunächst den Inhalten
der frei combinirenden Phantasie. Vorstellungsinhalte kommen
wegen ihres eigenen oder auf Associationen beruhenden Interesses;
die Wirksamkeit dieses aber verrät sich in dem ihrem Kommen
vorangehenden Streben. Das Streben mündet in den Vorstellungs¬
inhalt, befriedigt sich, indem er erscheint. Nun ist das Kommen
eine Veränderung. Indem ich nach einer Ursache der Verände¬
rung suche, bietet sich meinem Bewusstsein nichts, als eben das
Streben. Dies wird also zum Erzeuger der Veränderung.
Nicht alle Inhalte meiner freien Vorstellungstätigkeit entstehen
nun freilich so, dass ein fühlbares Streben voranginge und in sie
mündete. Ist es nicht der Fall, dann stehen sie doch insofern zum
Streben in einer der causalen Deutung fähigen Beziehung, als sie
weichen müssen, wenn das Streben auf einen andern Inhalt sich
richtet, oder diesem die Aufmerksamkeit sich zuwendet Ich weiss,
die Vorstellungen würden geblieben sein, wenn das Streben, das
in der andern Vorstellung seine Befriedigung fand, nicht einge¬
treten wäre. Dem entsprechend nenne ich das Streben Ursache
des Entschwindens. So erscheint schliesslich all mein freies Vor¬
stellen dem Willen untertan. Da ich mein freies Vorstellen eben
wegen dieser Unabhängigkeit vom Willen als freies bezeichne, so
ist diese Behauptung sogar eine blose Tautologie.
Andrerseits ist wiederum mein Streben von meinem freien
Vorstellen abhängig. Vorstellend gelange ich von Strebung zn
Strebung, wie ich strebend von Vorstellung zu Vorstellung gelange.
Beide erscheinen ineinander verwoben und zu einer Einheit ver¬
bunden. Aber die Einheit bedarf noch der Ergänzung. Nicht
nur das Verschwinden, sondern auch das Kommen der Vorstel¬
lungsinhalte, die nicht aus einem fühlbaren Streben hervorgehen,
verlangt seine Ursache. Da die Erfahrung keine solche bietet, so
supponiren wir ein vorstellendes Wesen, und finden in diesem
Begriff, wenn nicht Befriedigung, so doch Beruhigung. Ebenso
fordert der Umstand, dass bestimmte freie Vorstellungen, ebenso
wie bestimmte Wahrnehmungsinhalte, doch nicht notwendig be¬
stimmte Strebungen erzeugen, ein wollendes Wesen. Natürlich
müssen beide Wesen, da sie seine Einheit ergänzen, selbst eines
sein. Indem wir sie auch begrifflich vereinigen, gewinnen wir
den Begriff der Seele oder des Geistes als des eigentlichen Trä-