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Kap. Xll. Die Contrastverhältnisee.
geworden sind, länger mit unserem Bewusstsein. Und schon ehe
wir sie haben, verhalten wir uns ähnlich zu den ihnen entsprechen¬
den reproductiven Vorstellungen. Wir schwelgen vielleicht, wenn
wir dazu Zeit haben, im Gedanken an sie. — Natürlich leugne ich
nicht die physiologische Wechselwirkung der beiden Arten der
Empfindung, bezw. der ihnen zu Grunde liegenden und zur Seite
gehenden körperlichen Vorgänge und Zustände. Ich bin nur zu¬
gleich sicher, dass der Hungerzustand erst, indem er der Seele
sich verrät, den dort wohnhaften reproductiven Gescbmacksvor-
stellungen die besondere psychologische Bedeutung verleihen kann.
Nur als ein Beispiel für eine neue Art des Hinweises von
seelischen Erregungen auf andere seelische Erregungen sollte mir
der Hinweis der Empfindung des Hungers auf die Geschmacks¬
empfindungen dienen. In der Tat haben wir es hier wiederum
mit einer umfassenden und weitgreifenden psychologischen Tat¬
sache zu tun. Auf den verschiedensten Gebieten des seelischen
Lebens können Empfindungen oder Erlebnisse Hemmungen lösen
oder von Gefühlen des Drucks aufathmen lassen. Freilich nicht immer
sind es lediglich ursprüngliche psychologische „Verhältnisse“ zwi¬
schen dem Hemmenden, Gehemmten und Lösenden, die den Erfolg,
ich meine die gesteigerte psychologische Bedeutung des letzteren,
bedingen. Auch manchfache „Beziehungen0, die als solche nicht
in diesen Abschnitt gehören, können dabei in Betracht kommen.
So beruht zwar die Auflösung der Disharmonie durch die nach¬
folgende Harmonie und die besondere ästhetische Bedeutung, die
der letzteren aus dieser ihrer Function erwächst, lediglich auf den
musikalischen Verhältnissen der Töne. Dagegen sind es erfahrungs-
gemässe Beziehungen, die bei der Lösung des dramatischen Knotens,
bei der Erlösung aus wissenschaftlichem Zweifel oder praktischer
Verlegenheit dem psychologischen Vorgang zu Grunde liegen.
Immerhin ist in allen diesen Fällen nicht nur der Erfolg, das be¬
sondere Verhalten der Seele zu den erlösenden Vorstellungen, ein
analoger, sondern auch die Art, wie der Erfolg zu Stande kommt,
hat ein Gemeinsames. Erregungen, die sonst leicht abfliessen
würden, sei es weil sie der Seele angemessen sind, oder besondere
anderweitige Erregungen ihnen zu Hilfe kommen, werden am Ab¬
fluss verhindert, sozusagen gestaut, dann aber befreit und zu einem
eben wegen der vorangehenden Stauung energischeren Abfluss ge-