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psychophysischen Experimenten Interesse nimmt, oder mit Vorliebe
der Selbstbeobachtung sich hingiebt, der wird schwerlich Musse
finden, noch selbständig die Histologie der Sinnesorgane zu durch¬
forschen. Nur überaus schwer aber ist von solcher wissenschaft¬
lichen Arbeitstheilung die Ueberscbätzung der eigenen, die Unter¬
schätzung der fremden Forschungsmethoden zu trennen. Fast
noth wendig treten irrige Vorstellungen über die Tragweite der
einzelnen Untersuchungsweisen auf; der eine glaubt unter dem
Mikroskop Bewusstseinsvorgänge wahrzunehmen, der andere meint
bei der Selbstanalyse die gesammten Bedingungen seiner psychischen
Leistungen aufdecken zu können, und der dritte versucht, die ge-
sammte Psychologie auf die Untersuchung hysterischer Frauen zu
basiren. Statt dass sich die verschiedenen Methoden wechselseitig
ergänzen, entsteht so ein gegenseitiges Unterdrücken, ein selbst¬
süchtiges Vordrängen, das gegenüber dem Nachbar ungerecht,
gegenüber der Gesammtheit gefährlich ist und das doch im letzten
Grunde stets aus methodologischer Unklarheit entspringt.
So drängt denn Alles dahin, nicht nur die verschiedensten
Hilfsmittel für die psychologische Untersuchung dienstbar zu machen,
sondern auch diese Hilfsmittel selbst und ihre Leistungsfähigkeit
genauerer Untersuchung zu unterwerfen, eine Untersuchung, die,
wie gesagt, nothwendig mit der Frage beginnen muss, welches das
Ziel, die Aufgabe der Psychologie sei. Wer beispielsweise Psycho¬
logie mit Metaphysik verwechselt und es deshalb als Aufgabe der
Psychologie betrachtet, das innerste Wesen der Seele, den Urgrund
des Bewusstseins zu erfassen, der wird sich in unseren Laboratorien
für experimentelle Psychologie recht unbehaglich fühlen; und wer
die Verwirrung materialistischer Spekulationen so weit treibt, dass
er die Psychologie für einen Theil der Gehirnphysiologie hält, der
wird nicht recht begreifen, weshalb der Psychologe daran festhalten
soll, dass innere Selb st Wahrnehmung alle übrigen Methoden ergän¬
zen müsse.
So lange eine allgemeine Uebereinstimmung in der Bedeutung
des Begriffes nicht vorliegt, wird nun freilich die Frage nach der
Aufgabe der Psychologie sich naturgemäss in die Form kleiden
müssen: welche Aufgaben wollen wir der Psychologie setzen? Es
wird eine Frage der Convention und der Zweckmässigkeit werden,