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selbe erreichen, indem sie die abnormen Verstärkungen einzelner
Faktoren untersucht. Das Eingreifen des Experimentes wird
dagegen für beide Fälle in sehr ungleichem Maasse möglich sein ;
bietet das kindliche Bewusstseinsleben dem Experiment unzählige
Anhaltspunkte, so werden die Abnormitäten des Geisteskranken
nur in sehr geringem Grad durch künstliche Bedingungen so be¬
einflusst werden, dass die Psychologie davon Förderung erwarten
könnte. Gewiss kann etwa der übersprudelnde Vorstellungsström
des Maniakalischen vorübergehend künstlich nach bestimmten
Richtungen gelenkt und so der Associationsmechanismus näher
studirt werden, oder es kann die Stärke der verschiedenen Reize
verglichen werden, die nöthig sind, um die Aufmerksamkeit des
Melancholischen zu fesseln, oder es können die Wahnideen bei
ihrem Entstehen willkürlich beeinflusst werden. Selbst zeitmessende
Versuche sind bei Geisteskranken ausführbar; es ergab sich dabei
meist als zweckmässigste Methode, die Versuche so anzustellen,
dass der Kranke glaubt, er mache eine hervorragende wissen¬
schaftliche Arbeit, ohne zu ahnen, dass die Bewegungen, die er
ausführt, zur Messung seiner eigenen Bewusstseinsvorgänge dienen.
Die psychologisch interessantesten Patienten sind jedenfalls die
hysterischen, deren abnorm .starke psychische Reaktion vornehm¬
lich das experimentelle Studium der Affekte erleichtert. Auch die
hysterische Anästhesie hat, besonders in Frankreich, zu sehr an¬
regenden Experimenten Anlass gegeben; die methodologische Be¬
trachtung wird freilich energisch darauf hinweisen müssen, dass
Heucheln und Betrügen bekanntlich zum Symptomencomplex der
Hysterie gehört und Betrogenwerden zum Symptomencomplex der
Gelehrsamkeit.
An die experimentelle Verwerthung pathologischer Fälle
schliessen sich die Versuche an solchen Individuen an, deren ge¬
sund constituirter Bewusstseinsinhalt durch periphere körperliche
Defekte oder Störungen abnorme Verhältnisse darbietet; so können
wir höchst instruktive Versuche über Bewegungsempfindungen und
Raumvorstellungen an gelähmten Muskeln, über Schmerzempfin¬
dungen in amputirten Gliedern, über Geschmacksempfindungen nach
exstirpirter Zunge anstellen; bekannt sind auch die Experimente
an operirten Blindgeborenen und Aehnliches.