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fünfmal zu Definitionen derselben concreten oder abstrakten Be¬
griffe veranlasste und so die constanten Elemente in den zu ver¬
schiedenen Zeiten gegebenen Definitionen feststellen konnte. Den
bedeutsamsten Versuch, die experimentelle Methode in der Kinder¬
psychologie mit einfacher Beobachtung zu combiniren, stellt jeden¬
falls das bekannte Buch von Preyer dar.
Die Grenzen dieser Methode liegen einerseits darin, dass die
Ausdrucksbewegungen des kleinen Kindes nicht immer sicher be-
urtheilt werden können, vor allem aber darin, dass die körperliche
und geistige Entwickelung des Kindes selbstverständlich keinerlei
Schaden leiden darf. Es fragt sich, ob nicht schon die häufige
Wiederholung eines Reizes oder dergleichen das kindliche Nerven¬
system mehr angreift, als der Experimentator verantworten kann.
Jedenfalls aber sind theoretisch naheliegende Experimente, bei
denen etwa ein künstlicher Defekt im Geistesleben des Kindes
hergestellt wird, z. B. durch Unterdrücken jeder Sprachanregung,
durch relativ andauerndes Verbinden der Augen u. s. w., oder bei
denen heftige Affekte erregt werden, praktisch unbedingt ausge¬
schlossen; da müssen wir uns mit der Beobachtung an den trau¬
rigen Einzelfällen begnügen, in denen die Natur für uns experi-
mentirt. Kaum besonderer Erwähnung bedarf es, dass die Gefahr,
individuelle Zufälligkeiten zu generalisiren, bei der Kinderpsycho¬
logie ganz besonders beachtet werden muss; die Gefahr liegt um
so näher, als der Einzelne ja zu eingehenderen Erfahrungen meist
nur in der Kinderstube des eigenen Hauses Gelegenheit hat und
überdies bisher entschieden aus begreiflichen Gründen die erst¬
geborenen Kinder den wissenschaftlichen Vorrang hatten, die Unter¬
suchungen also meist angestellt wurden, ehe häusliches Vergleichs¬
material zur Verfügung stand.
2. Bei der Untersuchung unter natürlichen Bedingungen inter-
essirte uns neben dem kindlichen vornehmlich das krankhafte
Seelenleben, da beide in einer wechselseitig sich ergänzenden
Weise von dem normalen Bewusstseinszustand des entwickelten
Menschen unterschieden waren; die genetisch-psychologische Be¬
trachtung kann die in einander greifenden Faktoren des normalen
Geistes dadurch zerlegen, dass sie ihr succedirendes Auftreten
beobachtet, die pathologisch-psychologische Betrachtung kann das-