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können wir diesen Anpassungsvorgang nicht erklären. Dabei ist nun
an zweierlei zu erinnern. Erstens: Wenn wirklich ausnahmslos bei
jeder Fortpflanzung nicht ganz gleiche, sondern nur den Eltern
ähnliche Geschöpfe entstehen, so ist das doch ein sogenanntes Ver¬
erbungsgesetz. Kausal sind ja alle Vererbungsgesetze nicht über¬
sichtlich, wir müssen uns mit der Elementaranalyse begnügen.
Wenn wir aber wirklich alle ausnahmslosen Thatsachen der Fort¬
pflanzung sammeln und gruppieren, und das gemeinsame jeder
Gruppe, wie Haeckel es thut, ein Vererbungsgesetz nennen, so können
wir die ausnahmslose Beobachtung, daß jedes Geschöpf nur ähnliche,
nicht gleiche Wesen erzeugt, getrost auch zu den Vererbungsgesetzen
rechnen. Dasselbe gilt von den Gesetzen der monströsen und der
sexuellen Anpassung.
Zweitens aber müssen wir fragen: was wird durch diese Be¬
trachtung gefördert? Daß, wenn ein Tier braune und gelbe Junge
wirft, das Auftreten verschiedener Farben nicht die Kausalitätsreihe
durchbricht, ist selbstverständlich; die Ursache selbst aber wird
uns durch die Subsumtion, es sei Anpassungserscheinung, um nichts
näher gerückt. Dagegen ist die Verwirrung deutlich, sobald wir
daneben den Satz stellen, daß die meisten Wüstentiere gelb, viele
Borkentiere braun sind. Hier ist die Farbe wirklich Anpassung
an eine konstante Bedingung, dort ist sie Folge einer uns unbekannten
einmaligen zufälligen Ursache. Nennen wir das Gelb des Wüsten¬
tieres Anpassung an die Wüstenfarbe, so bezeichnen wir damit
einen typischen Fall für ein Gesetz, das uns deduktiv unendlich
viel zur Naturerklärung nützen kann; nennen wir das Gelb eines
Tieres, das braune und graue Geschwister hat, ebenfalls Anpassung
und zwar an eine unbekannte Ursache, so erhalten wir ein leeres
Wort, dessen schablonenhafte Anwendung auf jede physiologische
Erscheinung die Weiterforschung scheinbar unnötig macht, that-
sächlich dadurch aber nur der Naturerklärung im Wege steht.
Logisch berechtigter als diese sogenannten potentiellen sind
Haeckels aktuellen Anpassungsgesetze, nur lassen sich alle zu dem
zweiten, dem Gesetz der kumulativen Anpassung zusammenziehen.
Das erste lautet: „Alle organischen Individuen werden im Laufe
ihres Lebens durch Anpassung an verschiedene Lebensbedingungen
einander ungleich, obwohl die Individuen einer und derselben Art
sich meistens sehr ähnlich bleiben.“1) Wenn er als Beispiel dieses
*) Haeckel, a. a. O. S. 207,