CARL STUMPF
41
logische Teile“ als ungeeignet fallen lassen. In dieser Abhandlung
war ich bemüht, für die Gesichtsempfindungen das ihnen jetzt
zumeist abgesprochene Attribut der Intensität zu retten. Qualität,
Helligkeit, Intensität und Extensität scheinen, wenn auch in sehr
verschiedenem Ausprägungsgrade, allen Empfindungen zuzukommen.
In einer anderen, schon von Aristoteles erwogenen Haupt¬
frage: Einheit oder Vielheit gleichzeitiger und gleichlokalisierter
Empfindungen desselben Sinnes entschied ich mich beim Tonsinn
für Vielheit, beim Farbensinn für Einheit und legte auch sonst
gegenüber gewaltsamen Analogisierungen Gewicht auf die wesent¬
lichen Verschiedenheiten dieser beiden Sinne in Hinsicht ihrer
immanenten Gesetzlichkeiten.
Im Tongebiete sind vor allem die Eigenschaften der einfachen Töne
festzustellen, d. h. derjenigen, die durch Sinusschwingungen erzeugt
werden, da diese erfahrungsgemäß auf keine Weise, durch keine Übung
und Aufmerksamkeit, subjektiv in eine Mehrheit zerlegt werden können,
daher am meisten konstante Ergebnisse versprechen. Zu ihrer sicheren
Herstellung führte ich die Zerstörung der Obertöne durch Interferenz¬
röhren ein, und wies auf diesem Wege zugleich nach, daß eine Klangquelle
nur mitschwingt auf eine (annähernd) gleichgestimmte, nicht auf ein
Divisivum davon, wie Physiker nach Wheatstones Vorgang früher
vielfach lehrten und Wundt noch durch besondere Versuche hatte dar¬
tun wollen. Dadurch war ein bequemes Hilfsmittel für die Analyse von
Klängen gewonnen, und es zeigten sich bis dahin als einfach geltende
Klangquellen noch recht zusammengesetzt. Infolge davon verloren
z. B. Rudolf Königs berühmte Beobachtungsreihen an elektromagne¬
tischen Gabeln und an der Wellensirene ihre gegen Helmholtz gerichtete
Spitze.
Meine Ansichten über die Grundeigenschaften einfacher Töne haben
sich seit der Tonpsychologie insofern geändert, als ich jetzt die „musi¬
kalische Qualität“, die von Oktave zu Oktave wiederkehrt, neben der
„Höhe“, die einfach den Schwingungszahlen parallel läuft, als in der
individuellen Entwicklung gleich ursprüngliches Moment gelten lasse.
Diese bereits in der Tonpsychologie ausführlich diskutierte Eigenschaft
glaubte ich damals empiristisch aus der Verschmelzung der Oktaven¬
töne herleiten zu können, habe sie aber als Tatsache natürlich stets
anerkannt.
Die Verschmelzungsunterschiede selbst, die jetzt allgemeinen Ein¬
gang in der Psychologie gefunden haben, sind auch ein altes Erbgut.
Sie waren zum Teil schon den griechischen Theoretikern bekannt. Ich
habe sie aber, noch ohne dies zu wissen, in der Prager Zeit am Klavier
aufgefunden und später durch die Statistik der Einheitsurteile Unmusi¬
kalischer auch objektiv nachgewiesen. Die dabei auftretenden Unter¬
schiede in den Zahlen der Einheitsurteile sind auch weiterhin immer
wieder bestätigt worden.
245