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Luftsäulen.
Nur bei der Querflöte und ihrem Miniaturabbilde, dem Piccolo,
wird das Anblaseluftband direct mittels der Lippen des Mundes
gebildet. Der Künstler erlangt dadurch, dass er dem Luftstrome eine
wechselnde Richtung gegen die Kante des Mundloches, sowie eine
wechselnde Breite geben, auch das Mundloch mit der Oberlippe mehr
oder weniger decken kann, das Mittel, seinem Instrumente nicht nur
in allen Lagen die grösste Tonfülle, sondern auch mannigfaltige
Klangfarbennuancen abzugewinnen. Die Erforschung des hiebei statt¬
findenden Vorganges bleibt dem nächsten Vortrage Vorbehalten.
26. Vortrag.
(Luftsäulen, Fortsetzung. — Stehende Schwingungen.)
Ich schloss meinen letzten Vortrag mit der, für unseren Gegen¬
stand wichtigsten Frage: Wie geräth die Luftsäule in den Labial¬
pfeifen in stehende, d. h. tönende Schwingungen ? Dass hiezu ein,
auf eine entgegenstehende Schneide treffender, bandförmiger Luftstrom
erforderlich ist, wissen Sie bereits; denn, wenn wir den Versuch
machen, durch die Röhre in axialer Richtung einen noch so kräftigen
Luftstrom zu senden, so wird uns weder gelingen, den Resonanzton
der Röhre, noch überhaupt einen Ton hervorzurufen.
Erforschen wir nun die akustische Wirkung des Luftbandes
selbst. Bläst man gegen die Kante eines Kartenblattes oder gegen
die Schneide eines Messers, so entsteht, wie die seinerzeit gemachten
Versuche, vorzüglich aber der sogenannte »Vogelruf« uns lehrten, ein
zischendes, brausendes Geräusch, das, wenn die Intensität des Luft¬
stromes gesteigert wird, an Schärfe und Höhe zunimmt, und je nach
der Stärke des Stromes mehrere Octaven ununterbrochener, ineinander-
fliessender Töne durchlaufen kann, gleichsam ein, aus einer zahllosen
Reihe unmessbar nahe liegender Töne gewobenes Tonband bildend.
Dass dieses Tonband am Labium einer Pfeife entsteht, lehrt
uns ein Versuch, den wir mit einem solchen Labium, dem der Rohr¬
fortsatz fehlt, jetzt vornehmen wollen (Fig. 175). Ich blase dasselbe
isolirt an, und Sie vernehmen, je nach der Stärke des Blasens, das