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G. Stumpf.
[94,27]
sich die Stärke ja auch schon bei einer festen Tonhöhe während
deren Dauer stetig verändern und kann umgekehrt während
einer Tonbewegung eine Stärke die andere unstetig ablösen.
Man müfste für die bewegten Tonhöhen besondere Be¬
zeichnungen und Symbole erfinden und hat es zuweilen ver¬
sucht. Verläuft die Bewegung in gleichbleibender Richtung
und Stärke, so ist sie zwar durch Angabe ihrer Grenzpunkte
im allgemeinen charakterisiert, aber selbst dann gibt es noch
zahllose Modifikationen je nach dem Tempo; und dieses selbst
kann für die einzelnen Teilstücke verschieden sein, wofür be¬
sondere Epitheta und Zeichen erforderlich wären. Noch mehr
bedürfte es solcher für die Unterschiede des Höhenverlaufes
selbst zwischen den beiden Endpunkten. Bleibt die Stärke
konstant, so bedarf es für sie keiner anderen Mafsbezeichnungen
als für die eines ruhenden Tones; verändert sie sich aber
ebenfalls, so sind wieder besondere Kategorien einzuführen,
wie sie die Musik für ihre diskreten Tonschritte und die festen
Einzeltöne im „Crescendo, Diminuendo“ usw. und den ent¬
sprechenden anschaulichen Zeichen besitzt.
Lassen wir die „Vokalität“ als eine selbständige Grund¬
eigenschaft neben Höhe und Stärke bei ruhenden Tönen gelten
so kommt auch dieses Attribut bewegten Tönen in analoger
Weise wie Höhe und Stärke zu und kann auch seinerseits in
Bewegungsform auftreten. Wenn z. B. bei einem freudig über¬
raschten „Ah!“ die Stimme stetig in die Höhe und wieder
herabsteigt, kann der Vokalcharakter gleichbleiben oder sich
mitverändern.
Neuerdings hat Isserlin auf objektivem Wege, durch Aus¬
zählung der Zacken von Vokalkurven, gezeigt, dafs in der
lebendigen Sprache mit der Tonhöhe tatsächlich auch die
Klangfarbe der Vokale stetig wechselt, indem der Formant
einunddesselben Lautes während des Aussprechens beim Frage¬
satz steigt, bei der Affirmation sinkt.1 Mit dem Formanten
ändert sich dabei natürlich der Vokal selbst, es ist eben, genau
gesprochen, nicht mehr dasselbe A oder 0, sondern ein sich
stetig erhellendes oder verdunkelndes. Es wäre dann also
1 Isserlin, Psychologisch-phonetische Untersuchungen (Sitzungsber.),
Zentralbl. /'. d. gesamte Neurologie u. Psychiatrie 26, S. 77.