[70, 323] Vers. üb. d. dichoiischen Zusammenklang wenig versch. Töne. 59
anderen Resultaten kommt. Melati experimentierte ebenso
wie Stumpe mit Stimmgabeln. Diese befanden sich bei seiner
Versuchsanordnung in zwei getrennten Räumen und wurden
elektrisch zum Schwingen gebracht; ihre Töne wurden dann
durch Schläuche den Ohren zugeführt. Durch diese Einrich¬
tung wollte er die Überleitung der Töne von einem Ohre zum
anderen durch die Luft oder durch die „äufsere Knochen¬
leitung“ ausschliefsen (S. 448). Die Töne, mit denen operiert
wurde, waren im allgemeinen sehr leise.
Das Ergebnis der Beobachtungen über die gegenseitige
qualitative Beeinflussung dichotisch wahrgenommener Töne
formuliert Melati folgendermafsen : „Das wichtigste und
charakteristischste Merkmal des Gesamteindrucks liegt darin,
dafs die Töne beim binauralen Hören auch bei sehr geringen
Intervallen, selbst wenn sie beinahe unisono erklingen, getrennt
erscheinen, wie im monotischen Hören.“ 1 Und weiter sagt er:
„Die Beobachter nahmen die mit einem einzigen Ohre gehörten
Intervalle wie eine wirkliche Einheit wahr, und es war eine
Arbeit von willkürlicher Analyse nötig, um den einen Ton
von dem anderen zu unterscheiden ; binaural dagegen erschienen
die Töne für sich selbst, d. h. einer unabhängig vom anderen,
und die Schwebungen erscheinen gewissermafsen aufserhalb
der Töne selbst, lokalisiert an verschiedenen Orten.“ 2
Die Behauptung Melatis geht also, soweit ich sie ver¬
stehe, dahin, dafs es eigentlich keine dichotische Schwelle
gibt, oder dafs sie äufserst gering ist, kleiner als die monotische ;
so mufs es ja sein, wenn wirklich, wie Melati behauptet,
zwei „beinahe unisono“ erklingende Töne dichotisch getrennt
1 a. a. 0. S. 449. Der Sinn dieser, mir nicht ganz klar erscheinen¬
den Behauptung wird wohl der folgende sein : die Töne erscheinen beim
dichotischen Hören so getrennt, wie sie monotisch beim sukzessiven
Hören erscheinen.
2 S. 454. Melati berichtet daselbst weiter, dafs, um „eine deutliche
Vorstellung der zwei Töne“ bei kleinen Höhendifferenzen zu erhalten,
die Aufmerksamkeit nicht auf diese Töne selbst, sondern auf die
Schwebungen gerichtet werden mufste, und dafs, wenn man ausschliefs-
lich auf die Töne selbst achtete, diese nicht gleichzeitig wahrnehmbar
waren, sondern beständig alternierten. Es ist sehr schwer, aus diesen
Beschreibungen ein klares Bild der Beobachtungen zu erhalten.