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C. Stumpf.
[VI. Kongr. 338]
den empirischen Vokalen wenigstens, keineswegs so verschieden
wie etwa die sogenannten Urfarben Eot und Gelb oder ßot und
Blau (um nur benachbarte zu nennen), sondern das 0 erscheint
mir in der Tat nur als ein helleres U. Ob das bei den Urvokalen
anders ist, kann ich freilich nicht beurteilen. Jedenfalls kann aber
ein Farbentüchtiger reines Rot und Gelb nicht verwechseln, wäh¬
rend U und 0, E und I in meinen Versuchen von beiden vokalitäts-
tüchtigen Personen öfters verwechselt wurden.
Und wie wären denn bei absoluten Tonurteilen Oktavenver¬
wechslungen möglich, die doch zu den gewöhnlichsten Erscheinungen
gehören, wenn solche spezifische Unterschiede zwischen c2, c3, c4
beständen? Sie würden doch genügen, um jede Oktavenverwechslung
auszuschließen.
Man muß also nicht spezifische Unterschiede zu erklären suchen,
die in dieser schroffen Form gar nicht vorhanden sind. Daß die durch
unser Alphabet ausgezeichneten empirischen Vokale uns gewisser¬
maßen zu Individualitäten oder zu natürlichen Spezies geworden
sind, will ich nicht leugnen, und diese Individualitäten werden sich
auch in den Assoziationen mit einfachen Tönen geltend machen.
Aber das ist ebenso bei den Klangfarben der Instrumente: die
Klangfarben der Oboe, des Horns, der Geige sind Individualitäten,
können uns spezifisch verschieden erscheinen, und doch sind es
nur Kombinationen von Teiltönen neben vielen anderen möglichen
Kombinationen, und sind uns nur eben durch den häufigen Ge¬
brauch zu solchen vertrauten Individualitäten geworden.
Schließlich verlange ich nicht, daß man diese Bemerkungen
und Vermutungen völlig genügend finde, um daraus eine über¬
zeugende Erklärung der Köhlerschen Vokalqualitäten zu gestalten.
Aber des Nachdenkens sind sie doch wohl wert, und solange sie
nicht widerlegt sind, darf man dem Prinzip der Sparsamkeit ge¬
mäß nicht eine neue primäre Eigenschaft statuieren. Hat man einmal
Helligkeiten und Qualitäten in dem vorher erläuterten Sinn als ver¬
schiedene Grundeigenschaften der Töne anerkannt, so dürften sich
die Kosten der Vokalitäten damit bestreiten lassen. Köhler hat
richtig erkannt, daß mit den bloßen Höhenunterschieden nicht aus¬
zukommen ist, daß man daneben eigentlich-qualitative Unterschiede
anerkennen müsse (S. 102); aber er hat sie meines Erachtens in
falscher Richtung gesucht. In seinen Tabellen hat er ohne Zweifel
merkwürdige psychologische Sachverhalte aufgezeigt, die eine Er¬
klärung fordern und uns schon darum weiter bringen. Aber weder