[XVII. 13] Zur Theorie d. Differenz töne u, d. Gehörsempfind, überhaupt. 65
nicht nur zwei, sondern eine gröfsere Zahl Sinusschwingungen
erzeugt wTerden, so gelten natürlich dieselben theoretischen
Regeln. Bedenken erregende Schwierigkeiten scheinen mir aus
diesen complicirteren Fällen für die Theorie nicht zu entstehen.
Bei vielstimmigen Accorden, wie sie in unserer Orchestermusik
ganz gewöhnlich sind, ist zu erwarten, dafs der im Concertsaal statt¬
findenden Reflexionen wegen nicht alle Töne gleich stark auf beide
Ohren, sondern die einen stärker auf das eine, die andern stärker
auf das andere Ohr einwirken. Dies würde nach der Theorie in
vielen Fällen zur Folge haben, dass gewisse Töne auf dem einen,
gewisse auf dem anderen Ohre unhörbar werden. Da wir aber
mit beiden Ohren hören, so kann nur selten ein Ton für unsere
Empfindung gänzlich verloren gehen, da es nicht wahrscheinlich
ist, dass häufig derselbe Ton für beide Ohren verschwindet.
Für den Genuss vielstimmiger Musik dürfte daher die
Existenz von zwei Gehörorganen nicht ohne Bedeutung sein.
Man kann sich leicht durch Beobachtung davon überzeugen,
wenn man beim Hören von Musik das eine Ohr mit dem Finger
verschliefst. Die Accorde werden dann nicht nur schwächer,
sondern verlieren auch im Allgemeinen erheblich an Klangfülle,
was kaum anders erklärt werden kann als dadurch, dass einzelne
Töne bei einohrigem Hören stark geschwächt oder ganz unhör¬
bar sind.
Durch den Umstand, dafs die Schnecke so klein ist gegen
die Wellenlänge der akustischen Reize, steht unser Gehörorgan
in mancher Hinsicht zurück hinter dem Auge, da die Wellen¬
länge der optischen Reize verschwindend klein ist gegen die
Dimensionen der Netzhaut. Dieser Nachtheil wird nur dadurch
einigermafsen ausgeglichen, dafs die Entfernung unserer beiden
Gehörorgane von einander einen ziemlich grofsen Bruchtheil der
Wellenlänge der häufiger vorkommenden akustischen Reize
darstellt.
Stumpf, Beiträge II.
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