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Zweites Kapitel.
das Tiefe als oben bezeichnet, ist also dem modernen gerade entgegen¬
gesetzt; wollen wir sachlich richtig übersetzen, so müssen wir für Nete
das Wort „oberste“, für Hypate das Wort „unterste“ wählen.
Wozu die beiden verschiedenen Scalen? Wir wissen,.dass es eine
Dorische und eine Aeolische Tonart gab — um von der Böotischen zu¬
nächst abzusehen. Auf dem mit h beginnenden Heptachorde lässt sich
keine Aeolische Melodie spielen; es kommt auf ihr zwar der Aeolische
Schlusston vor, aber als höchster Ton, und es lässt sich schwer denken,
dass man eine Melodie mit dem höchsten Tone der ganzen zu Gebote
stehenden Scala geschlossen habe. Dagegen lassen sich auf dem in
Rede stehenden Heptachord die Dorischen mit e schliessenden Melodien
darstellen, denn e ist hier der in der Mitte liegende Ton. Dies müssen
dann aber Melodien von plagalischem Bau gewesen sein, die sich über
den Schlusston der Melodie e bis zur Oberquarte a in die Höhe und
abwärts bis zur Unterquarte h in die Tiefe bewegten. Ausserdem lässt
sich auf diesem Heptachorde auch die Böotische in c schliessende Me¬
lodie darstellen : über dies c kann sie noch einen Ton in die Tiefe hin¬
aus und sechs Töne in die Höhe steigen.
Auf dem zweiten mit e beginnenden Heptachorde lässt sich eine
Dorische Melodie von authentischem Baue darstellen, denn e ist hier
der tiefste Ton; sodann aber auch eine Aeolische in a schliessende
Melodie von plagalischem Bau, die hier, analog wie die Dorische, auf
dem ersten Heptachorde von der Oberquarte bis zur Unterquarte des
Grundtones geht. — Darstellbar auf den beiden Heptachorden ist also
die plagalisch-Dorische und die plagalisch-Aeolische, sowie die authen-
tisch-Dorische Tonart, nicht aber die authentisch-Aeolische..
Dorisch plagalisch (e)
h c d e f g a
Dorisch authentisch (e)
e f g a h c d
Aeolisch plagalisch (a).
Hieraus müssen wir auf einen vorwiegend plagalischen Bau (1er alten
Melodien schliessen. Auch die aus der Kaiserzeit uns erhaltenen
griechischen Melodien sind sämmtlich plagalisch gebaut.. Bei uns ist
es ja auch nicht.anders.
Dass Terpander das mit e beginnende Heptachord, auf welchem
die plagalisch-Aeolische und authentisch-Dorische Tonart genommen
wurde, bereits vorfand, wird uns ausdrücklich überliefert. Er war