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v. M a 11 z e w , Das Erkennen
Sukzessivintervallen Beurteilte ist dagegen von Intervall zu Inter¬
vall qualitativ verschieden. Ein Tritonus ist nicht so sehr
ein kleineres Intervall als die Sexte, Tritonus und Sexte verhalten
sich zueinander nicht wie z. B. zwei Intensitätsunterschiede von
Tönen, sondern jedes der beiden Sukzessivintervalle besitzt seine
absolute Qualität. Wir können schon innerhalb einer Oktave
12 Intervalle absolut, ohne Beziehung aufeinander erkennen, was
bei quantitativen Reihen, z. B. innerhalb von Intensitäts- oder
Distanzreihen, nicht so leicht möglich sein dürfte. Das Wieder¬
erkennen eines Intervalls gleicht dem Erlebnis beim Wieder¬
erkennen einer Farbe, die wir unmittelbar als rot, blau, gtün
bezeichnen, ohne sie mit anderen Farben verglichen zu haben.
Die Selbstbeobachtung führt zu diesen Behauptungen : schlagen wir
am Klavier mehrmals die Töne c1—e1 nacheinander an und suchen
das Erlebte zu beschreiben, so haben wir — soll die Beschreibung
vollständig sein -— neben den beiden Tonhöhen den eigenartigen
Übergang oder Schritt nicht zu vergessen, der von einem Ton zum
andern führt. Diesen Schritt erleben wir unmittelbar. Lassen wir der
Terz einen Tritonus folgen, so ist das Erleben des Schrittes natürlich
noch auffallender, denn es kommt uns lebhaft zu Bewußtsein, daß
dieser Schritt ein ganz anderer ist als der vorige, zumal daß er
qualitativ ein ganz anderer ist. Setzen wir unsere Beobachtung
weiter fort und schlagen in bunter Folge Quinten, Septimen, Ok¬
taven, Sexten an, so wird uns immer klarer, daß jeder dieser Schritte
ein Individuum für sich ist, daß im Erleben jedes von ihnen etwas
Typisches liegt, was in der einen Weise nur der Terz, in der anderen
nur der Quarte, in wieder anderer nur der Quinte eigen ist. Da wir
bei solchen Beobachtungen ferner finden, daß es für das typische
Schritterlebnis bei einem bestimmten Intervall gleichgültig ist,
welche absolute Höhe die Töne besitzen, an denen es auftritt, daß
vielmehr im allgemeinen5) angenäherte Konstanz ihres Schwin¬
gungszahlenverhältnisses genügt, um bei ihrer Sukzession immer
en gleichen charakteristischen Inhalt zu erzeugen, so sehen wir uns
zu der Annahme geführt, gerade dieser Inhalt sei es
überhaupt, der uns veranlasse, von einem
und demselben Intervall zu sprechen, wenn
immer Töne desselben Frequenzverhält¬
nisses aufeinanderfolgen. Und so stellen wir die
ypo hese auf, daß jeder Intervallbeurteilung innerhalb unseres
') Eme Ausnahme werden wir weiterhin kennen lernen.