Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. 689
nicht unsterblich, sie können sterben und sie sterben in unendlichen
Massen, aber sie können auch — soweit wir sehen — unbegrenzte
Zeiträume hindurch weiter leben unter stetig sich wiederholenden Ab¬
spaltungen ihres Körpers, und auf dieser Fähigkeit beruht das Fort¬
bestehen ihrer Arten und die Entwicklung neuer Formen, beruht über¬
haupt die Entwicklung einer vielgestaltigen Organismen weit. Fasst
man also den Begriff der Unsterblichkeit ganz einfach als den Gegen¬
satz zur Sterblichkeit, somit dem Wortlaut entsprechend als Nicht-
Sterblichkeit, so besagt er, dass die betreffenden Bionten nicht
sterben müssen, dass sie einen natürlichen Tod, einen Tod aus
innern Ursachen nicht besitzen, und so verhält es sich ja bei den Ein¬
zelligen. Ich glaube daher, dass das Epitheton unsterblich in der
That für dieselben vollkommen zutrifft und dass kein anderes Wort
unseres Sprachschatzes auch nur annähernd im stände wäre, den
Gegensatz zwischen ihnen und den Metazoen ebenso bezeichnend aus¬
zudrücken. Man könnte ja ein neues Wort dafür erfinden, wenn man
„unsterblich“ verwirft, jedenfalls aber sind die Einzelligen „nicht
sterblich“, oder wenn man die Individualitätsfrage ganz herauslassen
will: der Körper der Einzelligen ist nicht sterblich. Auf
die rein philosophische Frage, ob diese Unsterblichkeit gleich ewigem
Leben ist, braucht man sich dabei gar nicht einzulassen; übrigens
habe ich mich darüber früher schon kurz ausgesprochen1) und zwar
in demselben Sinn, in welchem Möbius am Schlüsse seiner Betrach¬
tung sich äußert, indem er sich dabei irrtümlicherweise im Gegen¬
satz zu mir zu befinden glaubt.
Die Resultate dieser Untersuchung lassen sich etwa in folgende
Sätze kurz zusammenfassen:
1) Der Streit darüber, ob man recht thue, bei der Teilung der
Einzelligen Mutter und Tochter als dasselbe Individuum zu bezeichnen
oder als verschieden, ist ein bloßer Wortstreit, der nur insofern eine
tiefere Bedeutung hat, als er zum Bewusstsein bringt, dass es bei den
Einzelligen kein „Individuum“ in dem Sinne gibt wie bei den höheren
Organismen, dass überhaupt unsere Abstraktionen, wie „Generation“,
„Mutter“, „Tochter“ nicht ohne weiteres überall angewandt werden
können, da sie eben künstliche Begriffe, nicht aber in der Natur vor¬
handene Dinge sind.
2) Der Gedanke eines „Alterns“ der Einzelligen ist nicht halt¬
bar, vielmehr besteht in physiologischer Beziehung ein tiefer Unter¬
schied zwischen Einzelligen und Vielzelligen darin, dass nur die letz¬
teren sich durch das Leben selbst aufreiben und zu einem natürlichen
Tod treiben, während die ersteren durch den Stoffwechsel niemals
derart verändert werden, dass das Leben dadurch unmöglich würde.
1) Dauer des Lebens S. 47 und 48.