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Fr. Goltz:
Gedankenreihe gezogen habe. Der Leser aber möge aus dieser
Notiz ersehen, dass meine Auffassung, die Durchschneidung wirke als
Reiz auf den Nerven, keinesweges so allen Ueberganges baar in die
physiologische Betrachtungsweise hineingeschneit ist, als dies vielleicht
auf den ersten Anblick scheint.
Der nervus lingualis und n. glossopharyngeus liefern also aus¬
gezeichnete Belege für den von mir vertretenen Satz, dass die ein¬
fache Durchschneidung gewisser Nerven an der Peripherie Aehn-
liches hervorbringen kann, wie die Reizung desselben Nerven und
dass man deshalb die Durchschneidung als einen Reiz massigen
Grades bezeichnen kann. Beim Hüftnerven liegen die Verhältnisse
nicht ganz so klar.
Anhaltende Reizung dieses Nerven bringt zwar auch Ge-
fässerweiterung zu Stande und eine hochgradigere als die einfache
Durchschneidung; aber im Beginn der Reizung sieht man häufig
deutliche Zusammenziehung der Gefässe. Das bequemste Hülfsmittel,
um diese Thatsache zu erklären, scheint die Annahme, dass der
Hüftnerv zweierlei Arten von Gefässnerven enthält, gefässverengernde
und gefässerweiternde Fasern. Erstere, diegefässverengernden, würden
sich vor den andern dadurch auszeichnen, dass sie viel schneller er¬
müden und viel schwerer erregbar sind. Wenn ich also bei anhal¬
tender elektrischer Reizung des Hüftnerven zuerst Verengerung und
dann enorme Erweiterung der Gefässe bekomme, so wäre das End¬
ergebnis daraus abzuleiten, dass inzwischen die gefässverengernden
Nerven unerregbar geworden und nur noch die gefässerweiternden
thätig geblieben sind. Die andere Thatsache aber, dass gewisse
Formen der Reizung, z. B. die einfache Durchschneidung sofortige
Gefässerweiterung erzeugen, würde man so deuten können, dass eine
so milde Form der Reizung nur die gefässerweiternden Fasern an¬
regt und die gefässverengernden unberührt lässt. Ich leugne nicht,
dass diese Betrachtungsweise etwas sehr gekünsteltes hat, und würde
sie gern gegen eine solche vertauschen, welche mit der Annahme
einer einzigen Art von Gefässnerven auskommt. Man könnte ja
daran denken, dass vielleicht Unterschiede des Grades des Reizungs¬
zustandes in einem und demselben Nerven an der Peripherie bald
Verengerung bald Erweiterung der Gefässe herbeiführen. Für jetzt
aber scheint es mir nicht erlaubt, diesen Gedanken durchzuführen;
denn es scheint ihm vor Allem eben die schwierige Thatsache ent¬
gegenzustehen, dass nach Reizung gewisser Nerven immer nur Ge-