Ueber die Verrichtungen des Grosshirns.
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das Muskelgefühl und, wie zu meiner Freude jetzt von so vielen
competenten Beurtheilern eingeräumt wird, durch die Thätigkeit
des Organs, das in den Bogengängen des Ohrlabyrinths seinen Sitz
hat. Tastsinn, Muskelgefühl und statischer Sinn oder Gleichge¬
wichtssinn müssen unversehrt sein, wenn wir uns mit voller Sicher¬
heit an unserem eignen Körper zurechtfinden sollen. Das Vermö¬
gen, sich mit Hilfe des Geruchs oder Gehörs in der Umgebung zu¬
recht zu finden, setzt aber voraus, dass man sich am eignen Kör¬
per zurecht zu finden vermag. Um nun zu prüfen, wie weit diese
Auseinandersetzung stichhaltig ist für die Beurtheilung der Störun¬
gen der von mir operirten Hunde, beschloss ich zu untersuchen, ob
der Kaumsinn der Haut bei ihnen gestört ist.
Ein altes Sprichwort sagt: »Jeder weiss am besten, wo ihn
der Schuh drückt«. Dieser Satz hat auch Geltung für die Thiere.
Ein gesunder Hund, der irgendwo an der Haut eine Verletzung
erfahren, der sich z. B. einen Splitter in den Fuss getreten hat,
untersucht sich die Pfote bekanntlich sehr sorgfältig mit der Schnauze
und weiss etwaige belästigende Fremdkörper mit der Zunge oder
den Zähnen zu entfernen. Insbesondre sind Hunde sehr bedacht,
ihre Geschlechtstheile in Ordnung zu halten. Sie belecken sich
diese bei jeder Gelegenheit. Die Idee des folgenden Versuchs war
nun die, an verschiedenen Stellen der äusseren Haut einen mässi-
gen dauernden Reiz anzubringen und zuzusehen, ob die Thiere den
Ort des Reizes finden würden. Als Mittel zur Reizung benutzte
ich kleine Drahtklemmen. Oben ist bereits ein solcher Versuch er¬
wähnt, aber eine andere Seite des Erfolges berücksichtigt worden.
Diese Drahtklemmen bringen auf die Haut des Menschen gesetzt
eine unangenehme Empfindung hervor, welche sich erst allmählig
zu einem starken Schmerz steigert, wenn die Klemme liegen bleibt.
Ich habe einer grossen Zahl gesunder Hunde dergleichen Klemmen
an die Zehen, an die Vorhaut und andere Hautstellen angelegt und
die Thiere dann freigelassea. Alle setzten sich alsbald nieder und
untersuchten die schmerzende Hautstelle mit dem Maule. Einzelne
befreiten sich mittelst der Zähne von den Klemmen. Ganz abwei¬
chend war das Verhalten der Hunde mit durchspültem Gehirn in
gleicher Lage. Auch nicht einer führte die Schnauze zu der
Klemme, sondern sie gingen unruhig und wie rathlos umher. Die¬
jenigen, welchen ich eine oder mehre Klemmen an die Zehen gelegt
hatte, schleuderten beim Gange den Fuss empor. Eine andere Re-
E. Pflüger, Archiv f. Physiologie. Bd. XIV. 28