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Dr. H. Curschmann,
Beine agiren dann nicht, wie in der Norm, gleiclimässig zusammen, sie
sind vielmehr stark gespreizt, das eine wird zu weit vorgesetzt, das
andere nachgeschleift, rutscht aus u. s. w., wodurch der Gang etwas
Unsicheres, Schwankendes hat. Kommt das Thier schliesslich wieder
zur Ruhe, so stehen selten, wie beim gesunden immer, die Beine
correct nebeneinander, sondern anscheinend so, wie es gerade am Ende
der Locomotion der Zufall arrangirt hat. Die Thiere haben auch nicht
das Bedürfniss, die abnorme in die regelmässige Stellung zu verändern.
Offenbar ist bei ihnen das Bewusstsein von der jeweiligen Stellung
der Extremitäten beeinträchtigt. Man kann auch, was diese Auffassung
erhärtet, mit einiger Vorsicht ein beliebiges Bein in andere Stellung
bringen, weiter vor, rückwärts oder auswärts schieben, ohne dass die
Taube Miene machte, dies zu ändern.
Die Flugfähigkeit haben die Tauben natürlich verloren. Die mei¬
sten fallen, aus einer gewissen Höhe losgelassen, ungeschickt flatternd
gerade zur Erde. Nach einem solchen Fall, fast der einzigen Gelegen¬
heit, wobei das Thier überhaupt die Flügel bewegt, zeigt auch die
Haltung der letzteren noch einige Zeit gewisse Irregularitäten. Die¬
selben liegen dann nicht völlig an, stehen vielmehr und oft ganz un¬
gleich vom Körper ab, und werden erst nach und nach träge bei¬
gezogen. Die eigentliche Muskelkraft der Flügel aber ist,
ich muss dies hier wiederholen, ganz unbeeinträchtigt.
Auf die Lehne eines Stuhles gesetzt, behaupten sich die Tauben,
so lange derselbe ruhig steht oder nur mässig schwankt, anscheinend
ziemlich geschickt. Erst bei starken Schwankungen fallen sie zu Boden,
offenbar deshalb, weil wegen beeinträchtigter Muskelcoordination Rumpf
und Extremitäten nicht in der für die Balance tauglichsten Weise zu
agiren vermögen. Instructiv ist in dieser Beziehung besonders wiederum,
die Beine zu beobachten. Man sieht dann z. B. die Tauben in Mo¬
menten, wo sie zur besseren Einstellung des Schwerpunktes eigentlich
die Beine beugen müssten, dieselben grade noch mehr strecken, man
sieht sie die Zehen ausspreitzen in einem Augenblick, wo sie dieselben
flectiren und sich besonders fest klammern sollten, u. s. w.
Ich möchte hier eine andere die Störung der Balance betreffende
Beobachtung anreihen, die man bei den nach der Operation nicht all¬
zuschwer beweglich und stupide gewordenen Thieren mehr oder weniger
deutlich machen kann. Stösst oder schlägt man nämlich das auf der
Erde sitzende Thier an die eine Seite in der Richtung nach der ent¬
gegengesetzten an, so erfolgt (stets nach dieser letzteren hin) Bogen¬
laufen oder eine oder zwei vollständige Kreisbewegungen, oder die