Ober d. Function der Bogengänge d. Ohrlabyrintlies.
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vorne herein ungewiss, welcher Perception der Apparat vorsteht,
der Wahrnehmung der Bewegung des eigenen Körpers oder dem
Hören. Ich wage darüber keine Meinung auszusprechen, hielte es aber
für ein dankbares Unternehmen, die Gehörorgane niederer Thiere
von diesem Gesichtspunkte aus zu betrachten. Wenn ich bedenke
wie wichtig für Wasserthiere die Empfindung passiver Bewegung
ist, da sie durch die Strömung so viel mehr und intensiver bewegt
werden als Luftthiere durch ihr Medium, und bei wie niederen Thieren
schon die Gehörbläschen auftreten, wo kaum ein Pigmentfleck der
Liehtperception vorsteht, wie bei Medusen die »Randkörper« u. s. f.
dann scheint mir die Frage nahezuliegen, ob denn die grobe Per¬
ception des Otolithenstosses und damit der Bewegung des Körpers
nicht die erste Leistung dieses Organes in der Thierreihe ist. Wenn
es bei höheren Thieren vielleicht beiden Functionen vorsteht, so
entspricht es doch nur der Theilung der Arbeit, worin die compli-
cirtere Organisation besteht, wenn jenes Otolithenbläschen in den
höheren Stufen der Thierreihe sich differenzirend entwickelt : in ein
Organ für Perception der Bewegung, zur höchsten Leistung befähigt
im System der Bogengänge, und in ein Organ zur Wahrnehmung
der Schallschwingung, die Schnecke.
In diesem Zusammenhänge würde es sich erklären, wieso die
beiden, anscheinend so verschiedenen Functionen des Hörens und
der Bewegungsperception in den beiden Theilen eines und desselben
Organes verbunden sind; es würden die beiden Functionen in dem
Gehörbläschen der Weichthiere im Keime vereinigt sein; zu ihrer
Entfaltung differenzirte sich das Bläschen zu den beiden Theilen des
häutigen Labyrinthes.
VI.
Im vorigen Abschnitte habe ich Yermutliungen über Denkbares
und Mögliches ausgesprochen. Ich wünsche nun eine scharfe Unter¬
scheidung aufrecht zu halten zwischen diesen Betrachtungen und der
Ansicht, dass die Bogengänge ein Perceptionsorgan für Drehungen
des Kopfes und mittelbar des Körpers sind. Ich hoffe, dass durch
die Darlegungen der früheren Abschnitte diese Ansicht ziemliche
Wahrscheinlichkeit und damit die Lehre Goltz’s vom „Sinnesorgan
für das Gleichgewicht“ weitere Ausbildung und Begründung erlangt
hat; denn um jenes geistvolle Aperçu Goltz’s handelte es sich ja
in allen vorliegenden Ausführungen.