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Die molekularen Umlagerungen organischer Stoffe kann
man in zwei große Gruppen teilen. Entweder haben die be¬
treffenden Stoffe verschiedene Konstitution oder die gleiche. Zu
jenen gehört die allererste, am längsten bekannte und auch
physiologisch interessante Umlagerung von isocyansaurem Am¬
moniak und Harnstoff. Seitdem sind zahlreiche Beispiele solcher
Umlagerungen sowohl in der aliphatischen wie der aromatischen
Reihe gefunden Worden. Daß meine beiden Pankreaskatalysatoren
dieser Klasse angeboren möchten, schien mir im höchsten Grade
unwahrscheinlich. Natürlich leüchtet es ein, daß Stoffe ver¬
schiedener Konstitution auch verschiedene Wirkungen haben
können. Aber daß diese bezüglich ein und dësselben Vorganges
genau entgegengesetzt ist, verlangt doch auch eine Gegensätz¬
lichkeit im Bau der ineinander umwandelbaren Moleküle. Eine
solche ist bei Verschiedenheit der Konstitution kaum denkbar.
Sie besteht aber bei der zweiten Klasse von Stoffen, welche
durch molekulare Umlagerung ineinander übergehen, ohne da¬
bei ihre Konstitution zu ändern. Sie verändern nur ihre Kon¬
figuration, die relative Lagerung der Atome im Raum, sie sind
Stereoisomere. Daß derartige Unterschiede im Bau der Moleküle
für die Wirkung von Enzymen in Frage kommen können, hat,
worauf ich schon früher1) hingewiesen habe, E. Fischer ge-*
zeigt. Er hat Glukoside verschiedener Konfiguration dargestellt
und gefunden, daß die einen nur von dem Emulsin, die andern
nur von den Enzymen des Hefeinfuses gespalten werden. Er
hat dafür folgende Erklärung2) gegeben : «Invertin und Emulsin
haben bekanntlich manche Ähnlichkeit mit den Proteinstoffen
und besitzen wie jene unzweifelhaft ein asymmetrisch gebautes
Molekül. Ihre beschränkte Wirkung auf die Glukoside ließe
sich also durch die Annahme erklären, daß nur bei ähnlichem
geometrischen Bau diejenige Annäherung der Moleküle statt¬
finden kann, welche zur Auslösung des chemischen Vorgangs
erforderlich ist. Um ein Bild zu gebrauchen, will ich sagen,
daß Enzym und Glukosid wie Schloß und Schlüssel zueinander
*) 1. c., S. 197.
*) Bef. d. d. ehern. Gesellsch., Bd. 27 (1894), S. 2992.