372 Heidenhain, Physiol, d. Absonderungsvorgänge. 6. Ab sehn. Harnabsonderung.
herstellung des normalen Blutlaufes schwindet die Störung in nicht
langer Zeit. Bei längerer Abklemmung der Nierenarterie hat Ribbert1
die Epithelzellen hochgradig verändert gesehn: jede Zelle springt als
hoher Buckel in das Lumen der Kapsel vor.
So würde sich leicht die vorübergehende Albuminurie bei Er-
stickun°'sanfällen und bei Strychninintoxication erklären, denn bei
starker Dyspnoe tritt unter meist völligem Versiegen der Harnabson¬
derung hochgradige Verengerung der Nierenarterie ein; ähnlich der
von Overbeck durch zeitweilige Obturation des rechten Herzens
herbeigeführte Uebertritt von Eiweiss, weil für die Zeit der Circu-
lationsunterbrechung die Blutzufuhr zu den Nieren auf ein Minimum
sinkt u. s. f.
Möglicher Weise hängt es damit auch zusammen, dass bei Harn-
stauung nicht selten Albuminurie beobachtet worden ist. Denn wenn nach
Ludwig’s wichtigen Nachweisen mit jeder stärkeren Harnstauung auch
Erschwerung des Blutabflusses durch die Nierenvenen verbunden ist, so
verknüpft sich damit noth wendiger Weise auch Verlangsamung des Blut¬
stromes in den Knäueln. Indess kommt bei der Harnstauung noch ein
andrer Umstand in Betracht, der, bisher nicht gewürdigt, doch alle Be¬
achtung zu verdienen scheint. Während nämlich im Normalzustände die
Oberfläche des Gefässknäuels unmittelbar der Innenfläche der Kapsel an¬
liegt und die von den Knäueln abgesonderte Flüssigkeit in dem Maasse,
als sie entsteht, durch die Harncanälchen abfliesst, so dass es zu keiner
wesentlichen Flüssigkeitsansammlung innerhalb der Kapsel kommt, wird
bei der Harnstauung der Knäuel von der Kapsel durch die sich stauende
Flüssigkeit abgedrängt. Dadurch ist die Möglichkeit zur Etablirung eines
Diffusionsstromes zwischen dem Blute in den Knäuelgefässen und der
Aussenflüssigkeit gegeben, welcher im Normalzustände nicht Vorkommen
kann, weil es keine wesentlichen Mengen von Aussenflüssigkeit giebt.
Diese abnormen Verhältnisse ändern aber, wie ich aus bestimmten Er¬
fahrungen weiss, die Eigenschaften der Knäuelepithelien. Während letz¬
tere z. B. im Normalzustände durchaus kein indigschwefelsaures Natron
aufnehmen, wie ja ihre völlige Farblosigkeit bei Ueberschwemmung des
Blutes mit jenem Pigmente beweist, tritt an ihnen blaue Färbung auf,
wenn man zuerst starke Absonderung blauen Harnes einleitet und daraut
durch längere Schliessung des Ureters Rückstau des Harnes in die Kapsel
herbeiführt. Dass die Färbung der Knäuelwandung nur auf diesem Rück¬
stau beruht, lässt sich auf das Sicherste beweisen, denn sie beschränkt
sich auf denjenigen Theil des Knäuelumfanges, welcher nahe dem l eber¬
gange der Kapsel in das Harncanälchen gelegen ist, während die anders¬
seitige Hälfte des Knäuels vollständig farblos bleibt. Werden die Epi-
thelien aber bei der Harnstauung für Indigblau imbibirbar, so scheint
damit eine Aenderung ihrer normalen Beschaftenheit erwiesen, welche
leicht zu anderweitigen Anomalieen Veranlassung geben kann.
1 Ribbekt, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1879. S. S3S.