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Eckhard, Rückenmark und Gehirn. 1. Cap. Ganglienzellen.
die mitgetheilte Angabe Wundt’s übrig. Man könnte wobl hier von
den wenigen Schlängelungen der Nervenfasern innerhalb der Gan¬
glien absehen, aber die Annahme, dass die Ganglienzellen die Ver¬
zögerung hervorrufen, wird durch die Behauptung erfahrener Histo-
logen 1 erschwert, dass die Nervenfasern der sensiblen Wurzeln in
gar keinen Zusammenhang mit den Ganglienzellen treten, sondern
diese als neue Faserursprünge anzusehen sind und von rein appo-
nirten Ganglienzellen noch gar keine Wirkung bekannt ist. Wichtiger
sind die Erfahrungen über gewisse Eigentümlichkeiten, welche die
vom Rückenmark aus erzeugten Muskelzusammenziehungen, ver¬
glichen mit denen durch directe Erregung der motorischen Nerven
erzeugten, aufweisen. Den ersteren ist nämlich eine gewisse Trägheit
gegenüber den letzteren eigenthiimlich. Es zeigt sich diese einmal
darin, dass die auf electrischem Wege erzeugte einzelne Reflexzuckung
mehr in die Länge gezogen ist, als die durch directe Reizung der
Muskelnerven erzeugte 2, sodann aber in der Abänderung der Schwin¬
gungszahl des Muskeltons bei electrischer Tetanisirung des Rücken¬
marks. Auch hiervon wird weiter unten eingehend die Rede sein.
Hier werde nur bemerkt, dass beim künstlichen Tetanisiren der Mus¬
kelnerven durch Inductionsvorricbtungen der dabei der Muskelcon-
traction zukommende Ton eine von der Anzahl der Inductionsstösse
abhängige, mit dieser übereinstimmende Schwingungszahl besitzt,
während den Muskeltönen, welche wir durch Tetanisirung des Rücken¬
marks oder den Willen hervorrufen, stets die Schwingungszahl c. 19
in der Secunde zukommt. Es müssen also, so schliesst man, in den
Centraltheilen Apparate vorhanden sein, welche die Wirkungen der
künstlichen Reize abändern. Da die Ganglienzellen bereits so vieles
auf sich genommen haben, so wird es ihnen nicht schwer sein, auch
diese neue Zumuthung zu übernehmen. Ich breche Hier mit den
allgemeinen Betrachtungen über die Functionen der Ganglienzellen
ab. Man sieht, dass des überzeugend Thatsächlichen bezüglich ihrer
Leistungen ausserordentlich Wenig, des Hypothetischen aber kein
Ende ist.
Indem wir uns nun dem speciellen Theil der Physiologie des
Gehirns und Rückenmarks innerhalb der mir zugewiesenen Grenzen
zuwenden, werde bemerkt, dass es sich in erster Linie um die Dar¬
stellung des gegenwärtigen Standes dieser Lehre bezüglich des That¬
sächlichen in der Art handeln soll, dass die gut ausgemittelten, von
den meisten Physiologen mit Vertrauen belegten Thatsachen dem
1 Kölliker. Handb. der Gewebelehre des Menschen. 5. Aufl. S. 317. 1867.
2 "Wtjndt, Untersuchungen zur Mechanik der Nerven etc. II. Abth. 1876.