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Hermann, Allg. Nervenphysiologie. 2. Cap. Die Erregung des Nerven.
tonus wieder herstellt , also die Erregungsursache hinwegräumt1 ;
zweitens die Schliessung des entgegengesetzten Stromes die erregte
anelectrotonische Strecke nunmehr in Catelectrotonus versetzt, also
ihre Erregbarkeit erhöhen und den Tetanus verstärken muss ; drittens
die Oeffnung dieses letzteren Stromes diese Verstärkung wieder auf¬
hebt, so dass leicht der Tetanus, dessen Ursache ihrer Natur nach
beständig abnimmt und unterdess abgenommen hat, ganz auf hört.
Bei starken Strömen, bei denen in Folge der Verschiebung des In-
differenzpuncts (S. 43) der Anelectrotonus fast die ganze intrapolare
Strecke umfasst, wird auch die Schliessung eines beliebig gerichte¬
ten Stromes fast die ganze intrapolare Strecke wieder in Anelectro¬
tonus versetzen, also den Oeffnungstetanus schwächen oder beseitigen,
und Oeffnung dieses Stromes wird den Tetanus verstärken, da der
grösste Theil der intrapolaren Strecke in schwindendem Anelectro¬
tonus und in erhöhter Erregbarkeit ist. So erklärt sich die von
Pflüger beobachtete Ausnahme vom Ritter-Rosenthal’scIien Ge¬
setz. Dass bei absteigenden Strömen der Oeffnungstetanus weniger
regelmässig auftritt (Ritter sah ihn hier gar nicht, s. oben), erklärt
sich zur Genüge aus den Modificationen der Nervenstrecken, die hier
zwischen anelectrotonisirter Strecke und Muskel liegen.
Vielfach sieht man den Oeffnungstetanus mit dem oben S. 57
besprochenen Schliessungstetanus parallelisirt, und in der That könnte
ja dieser ebenso als eine anhaltende Wirkung des entstehenden Cat¬
electrotonus betrachtet werden, wenn man nicht einwenden könnte,
dass er häufig während der ganzen Schliessung des Stromes fortdauert.
Ein analoger Versuch, wie der eben erwähnte PFLüGER’sche Schnitt,
um (bei aufsteigendem Strome) zu entscheiden, ob die Ursache des
Schliessungstetanus in der Cathodengegend liegt, lässt sich nicht an¬
stellen, weil der Schnitt zugleich den Strom öffnen, blosse Unterbin¬
dung im Indifferenzpunct aber zwei durchflossene Strecken schaffen,
also einen Theil der bisher anelectrotonisirten, mit dem Muskel noch
verbundenen Strecke catelectrotonisiren würde.
Immerhin bieten der Schliessungs- und Oeffnungstetanus manches
Analoge in ihrer Erscheinungsweise. Bedeutend grösser noch wird
diese Analogie, wenn sich die Behauptung Engelmann’s2 bestätigt,
dass der Oeffnungstetanus bei ganz frischen und normalen Nerven nicht
auftritt, also wie der Schliessungstetanus eine besondere Stimmung des
1 Dass hierbei meist keine Schliessungszuckung eintritt, erklärt sich daraus,
dass die Stelle, wo der Catelectrotonus wieder entsteht, durch das vorherige
Schwinden desselben herabgesetzte Erregbarkeit hat.
2 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol. III. S. 403. 1870.