284 Fick, Spec. Bewegungslehre. 5. Cap. Die Arbeit d. Muskelkräfte an d. Gelenken.
III. Zweigelenkige Muskeln.
Bekanntlich überspringen viele Muskeln der Gliedmassen zwei
oder sogar mehr als zwei Gelenke und können somit auf sie drehend
wirken. Diese Einrichtung findet sich so durchgängig bei allen Wir-
belthieren mit reichgegliederten Extremitäten, dass ihr unzweifelhaft
eine besondere teleologische Bedeutung zukommen muss. Es bieten
sich in dieser Richtung verschiedene Erwägungen dar. Erstens ist
die einfache Thatsache, dass derselbe Motor abwechselnd für zwei
verschiedene Bewegungen gebraucht werden kann, ein grosser Vor-
theil, wie aus folgender Betrachtung erhellt. Wenn verlangt wird,
dass bei Streckung des Hüftgelenkes einerseits und bei Beugung des
Kniees andererseits an einem bloss mit ein gelenkigen Muskeln
versehenen Bein ebenso viel Arbeit verfügbar sein sollte, so müsste
offenbar erstens am Hüftgelenk ausser seinen wirklich vorhandenen
eingelenkigen Muskeln noch eine dem Semitendinosus, Semimembra¬
nosus und langen Bicepskopfe gleiche Muskelmasse vorhanden sein,
da ja die zu leistende Arbeit der ganzen Muskelmasse — nicht etwa
bloss dem Querschnitte — proportional ist und andererseits müsste
auch am Kniegelenk neben den eingelenkigen Beugern eine jenen
drei Muskeln gleiche Masse noch einmal eingelenkig angebracht sein.
Die ganze Muskelmasse des Beines wäre also um den ganzen Be¬
trag der zweigelenkigen Beuger zu vergrössern. Freilich könnten
jetzt die Kniegelenkmuskeln vollständig ruhen, während das Hüft¬
gelenk zu strecken ist und die Hüftgelenkmuskeln könnten ruhen,
während das Kniegelenk gebeugt wird. Da aber jeder Muskel wie
eine zum Gebrauch bereit stehende Dampfmaschine auch während
der Ruhezeit einen fortwährenden Aufwand von Brennmaterial er¬
fordert, so würde die Einrichtung, ganz abgesehen von der Erschwe¬
rung und Yergrösserung des Gliedes auch eine Verschwendung von
Brennmaterial herbeiführen. Man könnte allerdings hiergegen ein¬
wenden, dass, wenn ein zweigelenkiger Muskel nur am einen Ge¬
lenke arbeiten soll, sein Moment am andern Gelenke durch Spannung
von eingelenkigen Antagonisten im Gleichgewichte gehalten werden
muss, was im Allgemeinen wohl nie ohne einige Erregung und folge¬
weise Steigerung des Materialverbrauches über den in der Ruhe statt¬
findenden Werth hinaus geschehen kann. Wenn z. B. Semimem¬
branosus, Semitendinosus und Biceps lediglich streckend am Hüft¬
gelenk wirken sollen, so muss ihr Moment am Kniegelenk durch
Spannung der Vasti aufgewogen werden. Nun ist aber sicher der
Materialverbrauch zur blossen Aufrechterhaltung einer gewissen Span-