Entwickelung der Muskelspannung.
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sehr allmählich geschehen, so dass die Zeit des Ueberganges ans
dem ruhenden Zustand in den vollständig erregten eine sehr lange wird.
Wenn in einem solchen Falle ausser der Trägheit des Gliedes keine
andere Gegenkraft sich der Zusammenziehung widersetzt, so ist die
geleistete Arbeit nicht viel von Null verschieden. Dies wäre z. B.
der Fall, wenn wir den Vorderarm in einer Horizontalebene ganz
langsam beugen. Ganz gleich Null kann freilich die geleistete Ar¬
beit im lebenden Körper niemals sein, weil eine Gegenkraft ganz
unvermeidlich ist, nämlich die Spannung der bei der Bewegung des
Gliedes zu dehnenden Muskeln. Sind aber diese im ruhenden Zu¬
stande, so ist diese Arbeit nur unbedeutend, da bei der grossen
Dehnbarkeit der Muskelfaser die Spannung eines Muskels selbst bei
der Lage des Gelenkes, wo sein Ansatz vom Ursprünge am weite¬
sten entfernt ist, im ruhenden Zustande nicht gross sein wird.
Der Muskel kann aber im lebenden Körper vom Nervensysteme
aus auch eben so schnell in den erregten Zustand versetzt werden,
wie durch einen künstlichen ^— etwa einen elektrischen — tetanisi-
renden Beiz, so dass der ganze Uebergang nur Bruchtheile einer
Sekunde dauert. In diesem Falle hat die Gelenkeinrichtung grossen
Einfluss auf die Entwickelung der höheren Spannungsgrade. Bei
den grösseren Gliedmassengelenken ist in diesen Fällen schon die
blosse Trägheit der Entwickelung der höheren Spannungsgrade gün¬
stig. Die auf diese Gelenke wirkenden Muskeln sind nämlich alle
mindestens mit einem Ende sehr nahe der Drehaxe oder dem Dreh¬
punkte des Gelenkes befestigt. Eine kleine Verkürzung der Fasern
erfordert also immer schon eine grosse Drehung im Gelenk. Ande¬
rerseits ist aber bei der langgestreckten Gestalt der Gliedmassen ihr
Trägheitsmoment in Bezug auf die Axen des Gelenkes verhältniss-
mässig gross. Es wird daher die Winkelbeschleunigung durch kleine
Spannungen der Muskeln sehr gering ausfallen, und ein Glied wird
in den ersten Bruchtheilen einer Sekunde, in welchen sich der er¬
regte Zustand entwickelt, dem schwachen Zuge, auch wenn keine
Gegenkräfte wirksam sind, noch nicht weit gefolgt sein können. So
kommt also im Allgemeinen der erregte Zustand bei energischer
plötzlicher Beizung durch das Nervensystem zu nahezu vollständiger
Entwickelung noch ehe die Länge des Muskels erheblich abgenom¬
men hat, d. h. es kommen nahezu die höchsten möglichen Spannungs-
werthe zur Geltung, fast so als ob die Muskeln während der Ent¬
wickelung des vollen Erregungszustandes ganz an der Verkürzung
verhindert worden wären. So erklärt es sich, dass dann hernach
bei der wirklichen weiteren Verkürzung eine sehr bedeutende Arbeit