Allgemeine Bedingungen der Flimmerbewegung.
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Zeit in heftiger Bewegung. Dagegen bewegen sich die Schwänze vieler
Spermatozoen (vom Frosch z. B.) noch häufig, auch wenn sie völlig vom
eigentlichen Körper abgetrennt sind1, nähern sich also hierin wie in
manchen anderen Punkten mehr gewöhnlichen Protoplasmafäden.
An isolirten Wimperepithelien, wie man sie z. B. durch Ah-
schaben flimmernder Schleimhäute leicht in Menge erhält, findet die
Bewegung in fast derselben Weise statt, wie bei den noch im nor¬
malen Zusammenhang auf der Schleimhaut sitzenden Zellen. Letz¬
terer Umstand hat nur insofern direkte Bedeutung als er die Coor¬
dination der einzelnen Zellindividuen bedingt, welche sich in dem
früher beschriebenen wellenförmigen Fortschreiten des Reizes äussert.
Hierin ist offenbar eine mit Nervenleitung principiell verwandte Er¬
scheinung zu erblicken, wie besonders schlagend die Ctenophoren
zeigen.2 Hier wird der, vermuthlich willkürlich oder reflektorisch
erzeugte, Reiz zur Bewegung der Schwimmplättchen, von dem „ Sin¬
neskörper “ aus durch ganz besondere, auch äusserlieh schon an Ner¬
venstränge erinnernde Reihen von Flimmerzellen des Ektoderms
fortgeleitet. Physiologisch funktioniren diese Epithelzellenreihen also
als echte motorische Nerven. Auch bei anderen Wirbellosen, nament¬
lich da wo die Flimmerbewegung zur willkürlichen Ortsbewegung
dient, muss von einer Innervation der Cilien gesprochen werden, ohne
dass man desshalb in jedem Falle an Nervenfasern in morpholo¬
gischem Sinne zu denken hätte. Die Flimmerbewegung auf den
Schleimhäuten der Wirbelthiere scheint von Nerven durchaus unab¬
hängig zu sein.3 Weder Durchschneidung noch Reizung der zu den
betreffenden Theilen ziehenden Nervenstämme hat irgend welche
nachweisbare Aenderungen der Bewegung zur Folgé.
Nach dem bisher Mitgetheilten kann es nicht befremden, dass
die Flimmerbewegung wenigstens der höheren Organismen vom Zu¬
stande des G-esammtorganismus in hohem Grade unabhängig ist. Sie
überdauert das Leben desselben denn auch und zwar mit besonderer
Zähigkeit. Nerven- und Muskelreizbarkeit pflegen längst geschwun¬
den zu sein, wenn die Flimmerhaare noch in lebhafter Thätigkeit
angetroffen werden.
1 Diese leicht zu bestätigende Thatsache haben schon Ankermann und Köl-
liker hervorgehoben. Ztschr. f. wissensch. Zool. VIII. S. 132 ; ibid. VII. S. 243.
2 Vgl. Carl Chun, Das Nervensystem und die Muskulatur der Rippenquallen.
Mit 2 Taf. Âbhandl. d. Senckenberg. Gesellsch. XI. 1878.
3 G. Valentin, Handwörterb. d. Physiol.I. S. 508; S. M. Schier, Lehrh. der
Muskel- u. Nervenphysiologie S. 11.1858—59. — Vgl. noch G. Schwalbe, Arch. f.
microscop. Anat. V. S. 256.1869, der die Cilien an den Spalten des Kiemensackes einer
Ascidienlarve (Perophora) bei leiser mechanischer Erschütterung des Mediums in
krampfartigen Stillstand übergehen sah, was möglicherweise auf Nerveneinfluss
zurückzuführen.