DIE VITALE HARNSTOFFBILDUNG.
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Eiweisshydrolyse zweifellos verschieden sein müssen und da es wohl möglich
ist, dass die Bildung vor Arginin aus den Eiweissstoffen in diesem und in
jenem Fall unter verschiedenartiger Atomverschiebung statt hat, so darf man
andererseits nicht behaupten, dass die ganze Menge Arginin, die aus dem
Eiweiss durch die künstliche Spaltung zu erhalten ist, sich auch im Organis¬
mus daraus bilde.
Wenn somit die Harnstoffmenge, welche sich im Organismus durch die
hydrolytische Zerlegung der stickstoffhaltigen Bestandtheile bildet, sich vor¬
läufig auch nicht annähernd ausrechnen so lässt, muss man unbedingt nicht blos
als möglich, sondern sogar als wahrscheinlich die DrecliseVsehe Vermuthung
bezeichnen, dass ein Theil des Harnstoffs sich im Organismus durch die Hydro¬
lyse der stickstoffhaltigen Bestandtheile desselben bildet. Die Producte der
künstlichen hydrolytischen und der vitalen Eiweissspaltung sind einander so
ähnlich, dass die Vermuthung ganz gerechtfertigt ist, dass auch die im Orga¬
nismus statthabende Eiweisszerlegung zur Bildung einer gewissen Menge Ar¬
ginin führt, welches durch die Hydrolyse teilweise in Harnstoff verwandelt
wird, der Harnstoffbildung beim Kochen des Arginins mit Barytwasser ent¬
sprechend. Diese Vermuthung scheint gerechtfertigt zu sein, aber zur Zeit
giebt es keine experimentellen Beweise für ihre Richtigkeit und der BrechseV-
schen Ansicht wurde bis jetzt nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Wenn das Arginin im Thierorganismus bei der Eiweissspaltung entsteht
so muss es durch die hydrolytische und nicht durch die oxydative Spal¬
tung gebildet werden, da es in beträchtlicher Menge bei der künstlichen
Zersetzung der Eiweissstoffe durch siedende Mineralsäuren sogar in Gegen¬
wart von reducirenden Mitteln (Zink oder Ziunchlorür) erhalten wird. Wenn
Bernert f) bei der Oxydation des Eiweisses mit übermangansaurem Kali unter
den Reactionsproducten Substanzen gefunden hat, die eine Aehnlichheit mit
den Hexonbasen (d. h. auch mit dem Arginin) zeigten, so darf man wohl
annehmen, dass dieselben doch Hydratations- und keine Oxydationspro-
ducte waren. Bei der Reduction des übermangansauren Kali entsteht Kali¬
lauge, welche bei längerem Digeriren leicht Hydratation von einem Theile
des Eiweisses hervorrufen kann, die Untersuchungen von Fr. JV. Schulz 2)
zeigen nämlich, wie stark durch gleichzeitige Oxydationsprocesse die Fähig¬
keit des Eiweisses erhöht wird, sogar durch schwach wirkende Agentien
hydratirt zu werden, und Bernert 3) betont selbst, dass bei seinen Versuchen
durch die hvdratirende Einwirkung von Kalilauge Albumosen, Peptone und
Basen gebildet werden konnten. Die Hydratation bei den Bernert'sehen Versu¬
chen konnte aber auch dadurch verursacht werden, dass der Verfasser die
Hexonbasen aus der Lösung isolirte, welche Albumosen und Peptone enthielt
und welche vorher längere Zeit mit Schwefelsäure gekocht wurde; die Hexon¬
basen mussten unter diesen Bedingungen unvermeidlich als Hydratations-
producte von Albumosen und Peptonen durch die Einwirkung der siedenden
Säure entstehen.
') Zeitschr. f. physiol. Chem., Bd. 26, S. 272.
s) Ibid, Bd. 29, S. 102.
p Ibid, Bd. 26, S. 293.