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Wilhelm WML
zweitens selbst mit der Möglichkeit einer solchen Herab-
minderung der Fähigkeit, ein bestimmtes Gefühl zu haben, noch
lange 'nicht auch schon eine gröfsere Empfänglichkeit für das
entgegengesetzte Gefühl selbstverständlich. Bei dem Farbencon-
trast folgt ja diese gesteigerte Empfänglichkeit für die Com-
plementirfarbe nicht a priori aus der Herabminderang derjenigen
für die gleiche Farbe. Zu der Erklärung dieses Zusammenhanges
müssen wir vielmehr erst einen besonderen physiologischen
Mechanismus voraussetzen, der sich nur auf das besondere Ver¬
hältnis der Complementärfarben bezieht und auf andere quali¬
tative Unterschiede nicht ohne Weiteres übertragbar ist Höff-
ding scheint denn auch eine solche Tendenz des Ueberganges
von einem Gefühle zu dem ihm entgegengesetzten besonders
nachweisen zu wollen. Er sagt: „Wie die Contrastfarben nicht
nur einander hervorheben, sondern auch leicht ineinander über¬
gehen, so bereitet ein Gefühl oft dem entgegengesetzten den
Weg.“ Es sollen sich also nach H. die Uebergänge zwischen
Gegensätzen des Gefühles, wie zwischen Liebe und liais, Hoff¬
nung und. Furcht, Ehrfurcht und Verachtung besondere leicht
vollziehen.
Hier handelt es sich einfach um eine Thatsachenfrage. Unsere
Erlebnisse dürften aber im Gegensatz zu jener Behauptung darauf
hindeuten, dafs die Stärke und Bauer eines Gefühles und die
damit zusammenhängenden physiologischen Vorgänge dem Zu¬
standekommen des entgegengesetzten Gefühles mit seinen
physiologischen Begleiterscheinungen gerade direct entgegen¬
stehen.
Wenn mit dem. hohen Grad von Liebe wirklich zugleich
glückliche Liebe, also hohe Lust, gemeint ist, und nicht blos
starke Leidenschaft, die ja an sich noch keine starke Lust,
sondern nur Vorbedingung zur Lust ebenso wie zur Unlust in
greiser Stärke ist, dann wird die Liebe nicht so leicht wie IIöff-
mng meint, dem Hasse Platz machen. In dieser Verfassung
kann man sich eben keinen Menschen so leicht als schlecht und
bassenswerth denken. Und so bewirkt ganz allgemein jedes Ge-
fühl durch die psychologische und physiologische Ressonanz
eine gehobene oder niedergedrückte Stimmung, welche den eigent¬
lichen Gefühlsanlafs überdauert und auch weiterhin ein erneutes
Entstehen des gleichen Gefühles begünstigt. Biese Thatsachen
sind von jeher in der Gefühlspsychologie betont worden. Er*