164
N. Poschoga
„Aufserdem mufs ich aber ganz besonders hervorheben, dafs der
Eindruck, dafs das Objekt sich bewegt, ein ganz unmittelbarer
• • __
ist, ohne dafs eine Überlegung oder ein Zweifel stattfindet und
deswegen halte ich die Bezeichnung ,Bewegungsempfindung1
für eine völlig zutreffende.“ Dieselbe Ansicht wird unter anderen
auch in einer der neuesten experimentellen Arbeiten nämlich
von Annie Steen geäufsert: „In den obigen Tatsachen wird nicht
der Bewegungseindruck durch die Wahrnehmung der einzelnen
Punkte vermittelt, sondern gerade umgekehrt: nur darum wird
überhaupt etwas gesehen weil Bewegung gesehen. Das Be¬
wegungsphänomen ist hier primär.“ 1 Bei den erwähnten Autoren
wird das Problem vollkommen klar gefafst und in einem ganz
bestimmten Sinne beantwortet. Meine Beobachtungen bestätigen
vollkommen diese Ansicht von der Bewegungsempfindung als
einer ursprünglichen und elementaren.
Die anderen Autoren leugnen dagegen die Bewegungsemp¬
findungen. So sagt z. B. Th. Ziehen: „Die Annahme spezifischer
Bewegungsempfindungen und -Vorstellungen schwebt ganz in der
Luft“.2 W. Wundt spricht von der Bewegungsempfindung nur
in bezug auf den inneren Tastsinn. Im Gebiete des Gesichts¬
sinnes spricht er dagegen von den Bewegungsvorstellungen.3 Je¬
doch beschäftigt er sich dabei weniger mit der Analyse der Tat¬
sachen selbst als mit der Frage nach der Wahrhaftigkeit der
Bewegungsvorstellung, ob nämlich die letztere einer wirklichen
Bewegung entspricht, oder nicht, und wie die Bewegungsillu¬
sionen zustande kommen. So macht Wundt keinen Unterschied
zwischen einer elementaren und unmittelbaren Bewegungsemp¬
findung einerseits und einer komplizierten und abgeleiteten Be¬
wegungsvorstellung andererseits. Weiter meint Wundt, dafs die
Bewegungsvorstellung dadurch entsteht, dafs das Auge den be¬
wegten Gegenstand fixierend verfolgt. Solange es von der Be¬
wegungsvorstellung in dem schon öfters erläuterten Sinne die
Rede wäre, würde gegen diese Auffassung nichts einzuwenden
sein. Sobald aber Wundt dabei das unmittelbare Bewegungs-
1 Annie Stern, „Die Wahrnehmungen von Bewegungen in der Gegend
des blinden Flecks.“ Psychologische Forschung 7. 1925.
2 Th. Ziehen, „Experimentelle Untersuchungen über die räumlichen
Eigenschaften einiger Empfindungsgruppen.“ Fortschritte der Psychologie
und ihrer Anwendungen. Bd. I. 1913. S. 331.
3 W. Wundt, Grundzüge der physiologischen Psychologie. Bd. II5. 577ff.