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Georg Elias Müller
nur zu beobachten ist, wenn man den Spaltrand und seine Um¬
gebung nicht beachtet, ihn zu übersehen vermag.
Wie oben (S. 177) erwähnt, erblickte bei den hier in Rede
stehenden Versuchen von Rubin die Vp. S. in der Spaltbahn in
Anschluß an das anfängliche Rot statt des objektiv vorhandenen
Grün eine breite weiße Linie, deren Weißlichkeit auf der Wirksam¬
keit der von dem anfänglichen Rot ausgegangenen vorwärtsläufigen
gegenfarbigen Induktionen beruhte. Die Vp. H. und R. dagegen
sahen, soweit bei ihnen die auftauchende Linie die links rote und
rechts grüne Grenzlinie war, neben dem anfänglichen Rot un¬
mittelbar Grün. Wie ist das zu erklären? Offenbar daraus, daß
bei diesen beiden Vpn. der Schirmrand den größeren Teil des
anfänglichen Rot nicht bloß für die Empfindung unterdrückte,
sondern auch mit den ihm entsprechenden vorwärtsläufigen G-
Induktionen nicht zur Geltung kommen ließ. Kamen diese In¬
duktionen in Wegfall, so mußte das Grün deutlich neben der
roten Endlinie auftreten. Diese durch den Schirmrand bewirkte
Unterdrückung der von den anfänglichen Spaltbildern ausgehenden
vorwärtsläufigen Induktionen soll in nachstehender, etwas weit
ausholender Auseinandersetzung als eine nach unserem gegen¬
wärtigen Wissen zu erwartende Erscheinung dargelegt werden.
Die Hauptfrage ist hier: Findet die durch den Schirmrand
bewirkte Ausschaltung der den anfänglichen Spaltbildern ent¬
sprechenden Eindrücke hinter der Kontrastzone oder früher statt ?
Ist das erstere der Fall, so können sich die diesen Eindrücken
zugehörigen vorwärtsläufigen Induktionen für den weiteren Verlauf
der Spaltbildwahrnehmung geltend machen, obwohl diese Ein¬
drücke selbst keine Empfindungen auslösen. Im gegenteiligen
Falle kommen jene Induktionen ganz in Wegfall.
Wie ich in meiner Abhandlung „Komplextheorie und Gestalt¬
theorie“ (Göttingen, 1923), S. 24 ff. an der Hand von Beobachtungs¬
tatsachen näher gezeigt habe, hat die Kontur folgende Wirkungen.1
Sie verleiht den Erregungen, die von den ihr angrenzenden Teilen
des Sehfeldes ausgehen, ein stärkeres Vermögen bis zur Sphäre
des Bewußtwerdens durchzudringen und sich dem verdrängenden
Einflüsse anderer Erregungen gegenüber zu behaupten. Die letztere
1 Die Art und Weise des Zustandekommens dieser Wirkungen muß
liier dahingestellt bleiben. Es muß uns hier genügen, daß diese eigentüm¬
lichen Wirkungen als tatsächlich bestehend nachgewiesen sind.