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Alois Heinemann
geeignet, eine grofse Fülle von Erscheinungen auf eine sehr ein¬
leuchtende und zwanglose Weise zu erklären.
In neuerer Zeit aber häufen sich Untersuchungsergebnisse,
die zwar nicht ein Verlassen, wohl aber eine Erweiterung
der Duplizitätstheorie erfordern, und zwar so, dafs letztere noch
selbst in diese Erweiterung eingeschlossen bleibt. Es ist hier
aber noch nicht der geeignete Ort, schon jetzt auf die von G.
E. Müller begründete Theorie der „rhodogenetischen Hemmung“
und die von E. R. Jaensch vertretenen Theorien der Funktions¬
schichten im Sehen näher einzugehen. Diese Theorien vermögen
unter Beibehaltung des richtigen Kernes der von Kries sehen
Duplizitätstheorie von umfassenderem Gesichtspunkte aus
dem Dämmeruugssehen und seinen Phänomenen eine allgemeinere
Erklärung zu geben. Es ist zweckmäfsiger, erst im Anschlufs
an die Darlegung dieser Untersuchungen auf eine eingehende
und kritische Stellungnahme zu diesen Theorien zurückzukommen.
Es sollte hier durchaus keine lückenlose geschichtliche Ent¬
wicklung der Tatsachen und Theorien gegeben werden, die sich
an die Erscheinungen der Dunkeladaptation angeschlossen haben.
Es mufste aber das Wichtigste jener Forschungen hervorgehoben
werden, die von den hier darzulegenden Untersuchungen berührt
werden. Aus dem gleichen Grunde mufs auch hier die Frage
des Purkinje sehen Phänomens noch kurz behandelt werden.
Schon Goethe (11) wies in seiner Farbenlehre“ darauf hin,
dafs auf Gemälden in der Dämmerung die grünen und blauen
Farben mehr hervortreten als im hellen Tageslicht. Eine erste,
eingehendere Analyse dieses Phänomens gab Purkinje (38) im
Jahre 1825. Nach ihm haben dann viele Forscher diese Tatsache
zu erklären versucht, ohne dafs es aber bis jetzt gelungen wäre,
eine Theorie hierüber aufzustellen, die allen Einzelheiten des
Phänomens gerecht würde. Eine Erklärung Seebecks (43), der
die Erscheinung auf die in der Dämmerung zunehmende Diffusion
der kurzwelligen Strahlen zurückführte, konnte durchaus nicht
genügen, da das Phänomen sowohl bei künstlicher wie auch bei
natürlicher Dämmerung in fast gleichem Mafse eintritt. Helm¬
holtz (12) suchte das Phänomen in einer kurzen, mathematischen
Formulierung zu erfassen, indem er den Satz prägte: „Die Emp¬
findungsstärke für verschiedenfarbiges Licht ist eine verschiedene
Funktion der Lichtstärke.“ Sowohl seine wie auch eine ähnliche
Ansicht A. Königs (24) waren ungenügend, da beide Erklärungen