Die Bedeutung der roten Strahlen bei der scheinbaren Vergrößerung usw. 329
Bedeutung des roten Lichtes für die Entstehung einer schein¬
baren Vergrößerung von Sonne und Mond am Horizont gelenkt
hat. Er konstatierte, wie auch irdische Gegenstände vergrößert
und auf längeren Strecken als sonst wahrgenommen werden, wenn
sie am Horizont in der Nähe der untergehenden Sonne liegen und
von deren rotem Schein beleuchtet werden. Henning dürfte jedoch
nicht die richtige theoretische Erklärung für die Wirkung der
roten Strahlen bei der scheinbaren Vergrößerung gefunden haben.
Er meint nämlich, sie könne mit Hilfe der AüBERT-FÖRSTERschen
und KosTERschen Gesetze erklärt werden, die nach Henning „die
Beziehung zwischen scheinbarer Größe, Beleuchtung und Seh¬
schärfe“ regeln würden. Meines Erachtens ist die Erklärung der
Wirkung der roten Strahlen bei der scheinbaren Vergrößerung
von Sonne und Mond am Horizont eine andere, als Henning sich
gedacht hat, und ich werde im folgenden meine Gesichtspunkte
entwickeln.
Zuerst will ich auf den Umstand aufmerksam machen, daß
das Auge nicht achromatisch ist, obwohl sich die Farbenzerstreu¬
ung bei gewöhnlichem Sehen nicht bemerkbar macht. Daß der
lichtbrechende Apparat im Auge für verschiedene einfache Strahlen
verschiedene Brennweite hat, wurde schon von Fraunhoeer nach¬
gewiesen (zitiert nach Helmholtz). Helmholtz hat die Größe
der auf der chromatischen Aberration des Auges beruhenden Zer¬
streuung berechnet und gefunden, daß die von derselben ver¬
ursachten Zerstreuungskreise ebenso groß sind wie die, welche von
einem leuchtenden Punkt in 1V2 m Abstand von einem Auge,
das für Unendlich akkommodiert, hervorgerufen werden. Die
chromatische Aberration gibt sich bei der Betrachtung von Gegen¬
ständen, die weißes Licht aussenden, nicht zu erkennen, weil die
Netzhaut hierbei nach Helmholtz eine solche Stellung einnimmt,
daß sich die lichtstarken gelben und grünen Strahlen in Punkten
auf derselben vereinigen und der von weniger brechbaren roten
und mehr brechbaren blauen und violetten Strahlen hervor¬
gerufene purpurfarbene Rand zu schmal und lichtschwach ist,
um wahrgenommen werden zu können.
Ein anderes Verhalten tritt ein, wenn man die tief stehende
Sonne und den tiefstehenden Mond betrachtet. Infolge der vor¬
her erwähnten Filtration des Lichtes in den unteren Schichten
der Atmosphäre nimmt das Auge von diesen Himmelskörpern
vorzugsweise rote Strahlen auf, die weniger als die gelben und