Untersuchungen über das Zustandekommen der räuml. Wahrnehmungen 195
der Sehdinge festlegen. Demgegenüber steht die Ansicht, daß
die Raumwerte, d. h. die Tiefenwerte der Netzhaut nicht stabil
sind, vielmehr das binokulare Sehen nur gewisse nicht festgelegte
Umrisse gibt, deren bestimmte Deutung erst durch psychologische
Momente im weitesten Sinne des Wortes geschieht,
Hering und seine Schüler haben in zahlreichen Versuchen
die physiologische Auffassung vertreten, daß die Eigenschaften
der Netzhaut die Grundlage der gesamten Raumwahrnehmung,
also auch der Tiefenwahrnehmung geben. Außer Herings klassischen
Arbeiten sind die grundlegendsten Untersuchungen diejenigen
von Hillebrand 1 2, in denen er die Stabilität der Raumwerte auf
der Netzhaut mit originellen Methoden untersucht hat. Die
gegenteilige Ansicht wird von zwei Kries - Schülern vertreten,
nämlich von Liebermann 2 und von Lau.3 Die neuere Literatur
über den Gegenstand findet sich in der Monographie von Hoemann.4
In neuester Zeit ist Hillebrand 5 in einem nachgelassenen Werk
auf die prinzipiellen Fragen erneut eingegangen.
Die vorliegende Arbeit befaßt sich speziell mit zwei Problemen
aus dem Gebiete der Raumwahrnehmung des Auges, Probleme,
die ich auf Anregung von Prof. Asher mit den zu beschreibenden
Methoden untersucht habe. Das erste Problem befaßt sich mit
der schon genannten Stabilität der Raumwerte auf der Netzhaut,
das soll heißen mit der Frage, ob Tiefenwerte, welche die Augen
unter bestimmten Bedingungen besitzen, auch noch vorhanden
sind, wenn die Bedingungen innerhalb des Zulässigen variiert
werden. Das zweite Problem schließt sich an Untersuchungen
an, welche früher Kipeer 6, im Berner Physiol. Institut angestellt
hat. Derselbe konnte zeigen, daß der Kontrast, welcher nach¬
weislich ein physiologisches Geschehen darstellt, die Raumwahr¬
nehmung beeinflußt.
1 Hillebrand, F., Z. Psychol. 5, S. 1, 1893.
2 Liebermann, P., Z. Sinnesphysiol. 64, S. 428, 1910.
3 Lad, E., Z. Sinnesphysiol. 53, S. 1, 1922.
4 Hoemann, Fr. Br., Die Lehre vom Kaumsinn des Auges. 2. Teil.
Berlin, Julius Springer, 1925.
5 Hillebrand, F., Die Lehre von der Gesichtsemplindung. Leipzig,
Julius Springer, 1929.
15 Kipfer, R., Z. Biol. 68, 163, 1927.