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M. H. Fischer u. A. F. Kornmüller
Eine nähere Einsicht in diese Versuchsergebnisse begegnet
mancherlei Schwierigkeiten und verlangt aus prinzipiellen Gründen
ein weiteres Ausholen.
Wir nehmen an, es läge irgendein Objekt genau in der ob¬
jektiven Medianebene (im Sinne unserer obigen Definition) und
werde bei exakt symmetrischer Konvergenz von beiden Augen
fixiert. Dann besagt das Gesetz der „identischen Sehrichtung“
von Herino oder die sog. „Sehrichtungsgemeinschaft“ (A.Tschermak),
daß das entsprechende Objekt (unter normalen Verhältnissen !) im
subjektiven Sehraume von beiden Augen auf einer gemeinsamen
Sehrichtung gesehen wird. Man pflegt dies für gewöhnlich so
darzustellen, wie es in Abb. 7 u. 8 geschehen ist. Die Sehrichtungen
denkt man sich vom sog. mittleren „imaginären Auge bzw.
Cyklopenauge“ oder vom sog. „Zentrum der Sehrichtungen“ aus¬
gehend. (Daß es sich dabei nur um Fiktionen handelt, wird
wohl von niemandem bestritten.) Es hat nicht an Bestrebungen
gefehlt, die Lage des Zentrums der Sehrichtungen in unserem
Körper aufzusuchen. Herino und andere dachten zunächst an
die Nasenwurzel, eine Auffassung, die jedoch nicht unbestritten
geblieben ist \ Doch ist dies zunächst eine Frage von sekundärer
Bedeutung, auf die hier nicht näher einzugehen ist. Viel wichtiger
ist, daß die Sehrichtungen etwas subjektives sind und
daß wir ihnen darum nicht ein bestimmtes Verhältnis
zu objektiv gegebenen Orten des Körpers zuschreiben
dürfen. Wir können uns hierin bedingungslos v. Kries 2 an¬
schließen. Für die Sehrichtungen im subjektiven Seh¬
raume ist die Vorstellung von unserem Körper ma߬
gebend. Mit anderen Worten, Sehrichtung bedeutet, wie
schon oben bemerkt, nur dann etwas endgültiges, wenn
sie egozentrisch gefaßt wird. Nun spielt die sM in der
Vorstellung von unserem Körper offenbar insofern eine besondere
Kölle, als sie eben jenes charakterisiert, was weder rechts noch
links ist. Die sM ist darum wohl das Bezugssystem oder_
1 Vgl. dazu: F. B. Hofmann, Raumsinn 1925; Graefes Arch. 116, 135
(1925). Sh. Funaishi, Graefes Arch. 116,126 (1925). H. Köllner, Arch. Augenheilk.
88, 117; 89, 67 u. 121 (1921). 0. Roelofs u. de Fauvage-Bruyel, Arch.
Augenheilk. 95, 111 (1924).
2 J. v. Kries, Allgemeine Sinnesphysiologie 1923 speziell S. 214. Übrigens
hat auch Hillebeand, Psychol. 104, 129 (1927), auf ganz ähnliche Ge-
dankengänge besonders hingewiesen.