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Johann Daniel Achdis.
kann im Bewufstsein eine mehr oder weniger führende Rolle
spielen. Einmal ist er der einzige Inhalt, im anderen Grenzfall
ein völlig isoliertes Moment inmitten anderer Inhalte. Dem ent¬
spricht auf der einen Seite zunehmende Schärfe der Lokalisation,
auf der anderen Seite Beschränkung der motorischen Reaktion
auf wenige Rückenmarkssegmente. Will man den Vergleich mit
der Flucht durchführen, kann man sagen: einmal flieht der ganze
Organismus, das andere Mal fliehen nur wenige Körpersegmente.
Körperliche Isolierung ist das eine Moment, was zur psychischen
Isolierung beiträgt. Der „Reiz'* spielt dabei, wenn er überhaupt
nachweisbar ist, nur die Rolle eines auslösenden Faktors; erlebt
wird nicht die direkte Wirkung des Reizes, sondern der durch
ihn ausgelöste körperliche Zustand bzw. Vorgang.
Exkurs mr Tierpsychologie.
Das mag schwer zu denken sein, wenn man an den Be¬
griffen der Sinnesphysiologie als den zur Beschreibung einzig
möglichen festhält. Es ist die hier vertretene und wie ich hoffe
auch hinlänglich bewiesene Meinung, dafs diese Begriffe beim
Schmerz danebengreifen. In der Tierpsychologie finden wir durch¬
gehend solche Erlebnisformen, wenn wir nicht die Auffassungsart
des Menschen, so wie sie sich in der Sinnesphysiologie darstellt,
völlig kritiklos aufs Tier übertragen. Es wird in der sogenannten
Sinnesphysiologie der Tiere immer gefragt, ob das Tier dies oder
jenes sieht, einen Riechstoff riecht usw., ohne dafs man die Vor¬
frage überhaupt gestellt hätte, ob denn ein Tier wirklich in der
Weise des Menschen seine Welt erlebt. Was ist denn das rote
Tuch für den Stier? — doch wohl Gegenanrennen, was ist Wasser
für ein junges Teichhuhn anderes als Tauchen und Schwimmen,
was die Antilope für den Löwen anderes als Jagd- und Beute¬
tier, was die Hirschkuh für den brünstigen Hirsch anderes als
Wesen zur Paarung? Das sieht doch alles ziemlich anders aus
als beim Menschen. Wir fressen nicht die Landschaft, sondern
leben in ihr und betrachten sie, wir machen das Wasser uns
nutzbar und Haustiere aus den Tieren — von anderm ganz zu
schweigen. Das Tier lebt wesentlich in Instinkten und Trieben,
der Mensch im gegenständlichen Erfassen der Welt und zielbe-
wufstem Handeln. Dieser Unterschied ist so evident, das man
sich wundern mufs, dafs erst nach langer Arbeit die Tierpsycho¬
logie dahin gelangt ist, die wahre Struktur des tierischen Be-