262
Stäbchenfunktion und Farbenkonstanz.
Von , 1
Dr. Stephan Krauss (Wien).
1. Die Frage einer Hellfunktion des Stäbchenapp^rates.
Dem noch von Ebbinghaus 1 beklagten Zustand, dafs die Netz¬
hautphysiologie und die Lehre von den Licht- und Farben¬
empfindungen sich gegenüberstünden „wie zwei kleine Welten,
die nichts miteinander gemein haben“, konnte naturgemäfs keine
Dauer bescbieden sein. Die von der v. KRiEsschen Duplizitäts¬
theorie und von G. E. Müllers immer weiter vordringenden
Untersuchungen über die Farbensinnstörungen ausgehende Ent¬
wicklung der Bezugnahme begann ihre Fruchtbarkeit auf psycho¬
logischem Gebiete durch die KATzsche2 Begründung der „Er¬
scheinungsweisen“ der Farben und durch die Inangriffnahme
einer auf die „Beleuchtungsempfindung“ basierten Farbenwahr¬
nehmungslehre durch Bühler zu erweisen. Diese insbesondere,
die durch den Begriff der „Tiefensonderung“ 3 die optische Reiz¬
wirksamkeit des Sehraums vor den Wahrnehmungsgegenständen
vermöge des ihn füllenden Quale erklärt, führt mit Notwendig¬
keit zu einer noch zu begründenden Bezugnahme auf die Netz¬
hautelemente und ihre Funktionen, von denen diejenige des
Stäbchenapparates noch immer, obwohl die Sehpurpurforschung
nun gerade fünf Dezennien zählt, als ein weites Feld der Auf¬
gabe erneuter Untersuchungen erscheint.
Die Frage, ob dem Stäbchenapparat eine auf Hell- und
Dunkeladaptation sich erstreckende Doppelfunktion zuzuschreiben
1 Hermann Ebbinghaus, Zeitschr. f. Psychol. 5, S. 145. 1893.
2 D. Katz, Die Erscheinungsweisen der Farben und ihre Beeinflussung
durch die individuelle Erfahrung. Ergb. 7 der Zeitschr. f. Psychol. 1911.
8 K. Bühler, Handb. d. Psychol. 1. Teil: Die Struktur d. Wahrnehm.
1. H. : Die Erscheinungsweisen der Farben. Jena 1922. S. 35.