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Karl Miescher.
haben. Auch die aus Farbenhalben gebildeten Grüne sehen
nicht so gesättigt aus, wie die auf gleiche Weise hergestellten
gelben und roten Farben. Was sich hier als Weifsgehalt
geltend macht, tritt bei den bezogenen Farben als
Schwarzgehalt auf“.1 Letztere Behauptung ist durchaus
unverständlich, da sie die Tatsachen direkt auf den Kopf stellt.
Alle Vollfarben, insbesondere aber die grünen, sind gegenüber
den Spektralfarben gleichen Farbtones ungesättigt oder weifslich.
Man sehe z. B. ihre Stellung im Dreifarbendreieck von Kohlkausch
nach. Diese Weifslichkeit kommt natürlich auch bei allen Körper¬
farben zur Geltung, jedoch ohne ihren Schwarzgehalt irgendwie
zu beeinflussen. Hierzu tritt aber bei kalten und also teilweise
auch bei grünen Farben die eben erwähnte rein physikalisch
bedingte Schwierigkeit, dafs die Eigenfarbe bei geringen Werten
an Gegenfarbe nicht über 60 hinausgeht. Sie ist allein für den
gröfseren Schwarzgehalt verantwortlich. Die Weifslichkeit der
orünen Farben erfährt aber dadurch eine weitere Vermehrung;
ö
denn sie ist zufolge der Gleichung bei konstanter Gegen-
T ' ‘ V
färbe um so gröfser, je kleiner die Eigenfarbe ist.
Ostwalds Erklärung des kühlen Eindrucks violetter, blauer
und seegrüner Farben durch ihren übergrofsen Schwarzgehalt
ist zweifellos unzulänglich. Die Empfindung der Kälte tritt auch
dann deutlich auf, wenn gelbe und blaue Töne analytisch gleich¬
wertig sind. Man sehe sich z. B. die weifsreicheren Farbkreise
des grofsen Farbatlasses (1. Aufl.) an oder betrachte eine Landschaft
abwechselnd durch ein gelbes und ein blaues Glas gleicher Durch¬
sichtigkeit. Für die Erklärung des Gegensatzes kalt-warm sind
zweifellos verschiedene Gründe mafsgebend. Einerseits hängt
er mit der Relativhelligkeit der Vollfärben zusammen, die ja
bekanntlich bei gelben Farben am gröfsten, bei blauen am
kleinsten ist; dann aber besonders mit der Empfindung der
Wärme bei gelblichem Sonnenlicht oder dem rötlichen Licht des
Feuers und andererseits mit dem Eindruck der Kühle, den uns
seegrüne Gewässer, bläuliches Eis, insbesondere aber der blaue
Himmel, hier als Kontrast zur wärmenden Sonne, verursachen.
Der hohe Schwarzgehalt der kalten Farben bereitet bei der
Ordnung und Normung der Körperfarben erhebliche Schwierig-
* Von mir durch Sperrdruck hervorgehoben.