Beiträge zur Physiologie der Gemeingefühle.
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lösen zunächst Kitzel bzw. Jucken aus (vgl. im übrigen Kap. II).
Steigerung des Reizes führt zu Schmerzempfindung. Auch die
Schmerzpunkte verlangen eine höhere Schwelle des mechanischen
Reizes als die Druckpunkte (v. Frey). Für den Schmerz verlangt
v. Frey ein eigenes rezeptorisches System, während ich die
Schmerzqualität den gesamten mechano-sensiblen Nerven über¬
trage und die graue Substanz für eine Umformung der Erregung
in Anspruch nehme. Für Kitzel und Jucken besondere rezep-
torische Apparate und Leitungsbahnen anzunehmen, lehnt auch
v. Frey ab, indem er das Jucken den Schmerznerven, den Kitzel
den Drucknerven überweist.
Eine weitere Eigentümlichkeit besteht darin, dafs die Kitzel¬
empfindung, welche gerade dem schwächsten Reiz entspricht,
sich durch ihre Irradiation gegenüber der Druckempfindung aus¬
zeichnet und dafs sie von einem sehr ausgesprochenen Gefühls¬
ton begleitet ist, welcher der letzteren nahezu ganz fehlt. Be¬
rührungen, Streichungen können zwar auch angenehm oder un¬
angenehm empfunden werden, aber der intensive Gefühlston des
Kitzels wird von ihnen nicht erreicht. Die Irradiation spricht
sich auch in den vom Kitzel ausgelösten weit verbreiteten Re¬
flexen aus (Schauder, Muskelkontraktionen). Man könnte die
Erscheinung so deuten, dafs die ganz schwache Reizung einen
Erregungsablauf von bestimmter Art erzeugt, welcher durch
stärkere Reizung eine Unterdrückung erfährt. Im Kap. Kitzel
und Jucken sind hierüber nähere Ausführungen gemacht worden.
Die der Druckempfindung entsprechende Erregungsform
würde hiernach sich von der dem Kitzel entsprechenden durch
eine Form der Oszillationen unterscheiden, die jener abträglich
ist und einem stärkeren Erregungszustand entspricht. Eine
qualitativ verschiedene Erregungsform läge keineswegs vor,
sondern eine abweichende Zusammensetzung des komplexen Er¬
regungsvorgangs aus gleichartigen Erregungselementen, bedingt
durch die verschiedene Stärke des auslösenden Reizes. Die Ver¬
schiedenheit der Wirkung auf das Bewufstsein würde bei dieser
Art die Dinge anzusehen ganz in das Zentrum verlegt werden.
Die Qualität der Empfindung von der Form des zentralen Er¬
regungsvorganges, speziell von der zeitlichen Folge und Zu¬
sammensetzung elementarer Erregungen abhängig zu machen,
begegnet keinen Schwierigkeiten und verträgt sich durchaus mit
der Lehre von der spezifischen Energie der Sinnessubstanzen.