Uber das optische Wahrnehmen von Bewegungen.
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winklig; die direkte Entfernung der Bahn vom Auge sei 20 bis
50 cm, die Geschwindigkeit etwa 20 bis 50 cm in der Zeitsekunde.
In der einen Hälfte der Versuche wird ein beliebiger Punkt
der Bahn, z. B. der Fufspunkt des vom Auge auf sie gefällten
Lotes fixiert; in der anderen Hälfte der Versuche dagegen wird
das bewegte Objekt, die Fingerspitze, mit dem Blicke ver¬
folgt, also dauernd fixiert, so dafs ihr Netzhautbildchen dauernd
foveal ruht, während der Augapfel sich bewegt, dreht.
Wird der Bahnpunkt fixiert, so erscheint für den Be¬
obachter nur die Fingerspitze bewegt (und zwar richtig nach
rechts), dagegen ruhen alle das Gesichtsfeld bildenden Objekte.
Es ist ohne weiteres klar, dafs für das objektiv bewegte Objekt
(Fingerspitze) jeder im Gesichtsfelde gesehene Gegenstand „Be¬
zugskörper“ ist, — dafs also das ganze Koordinatensystem dieses
Feldes es ist, relativ zu welchem die Bewegung des Fingers
wahrgenommen wird. In Anbetracht des so mafsgebenden
LokalisationsVermögens unseres Sehorgans ist die Ausdeutung
des optischen Eindrucks durchaus eindeutig festgelegt. Das Ego¬
system verhält sich allenfalls in bezug auf die Richtung der
wahrgenommenen Bewegung, die nach rechts geht, zustimmend.
Was aber den absoluten Gröfseneindruck der in der Zeit¬
einheit zurückgelegten Strecken betrifft, so fehlt dem Seh-
bewufstsein jeder Anhalt bezüglich der Bewegung der Finger¬
spitze relativ zum Egosystem. Denn, wie wir bei der parallak¬
tischen Verschiebung erkannt haben, bedarf es hierzu, dafs die
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Änderung des Winkels, den die Blicklinie mit dem Ego¬
system während der Fixierung des dort passiv seine Lage
zum Egosystem ändernden Objekts bildet, uns bewufst werde.
Davon kann aber in unserem jetzigen Versuche (Fixierung
eines Bahnpunktes) keine Rede sein, denn die Blicklinie
ändert ja ihre Lage zum Egosystem garnicht. Daher mufs
das Sehbewufstsein seine Wahrnehmung oder Vorstellung von der
Länge der vom Finger in der Zeiteinheit zurückgelegten
Strecken lediglich von dem nicht die Lage zum Ich,
sondern die Lage im Gesichtsfeld betreffenden Lokalisa¬
tion s vermögen des Sehorgans bilden, und das Egosystem tritt
bei Fixierung eines Bahnpunktes nicht korrigierend in
Funktion.
In der zweiten Versuchsreihe fixieren wir dann die bewegte
Fingerspitze und beachten dabei das Verhalten der unmittel-
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