Liter aturbericht
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constatirt wurden, in allen exacten Versuchen nachweisbar sind (diejenigen
von Mülle» und Schümann nicht ausgenommen^. Alle Erklärungen dieser
Schwankungen, die bisher gegeben wurden, scheinen mir unrichtig, ich
glaube ihre Ursache allein in der spontanen Thätigkeit der
materiellen Gedächtnifssubsträte suchen zu müssen, welche ge-
mäfs ihrer Natur intermittirend functioniren.
Die spontane Reproduction halte ich entgegen der allgemein ver¬
breiteten Ansicht für eine unzweifelhafte Thatsache. Ich stütze mich dabei
auf vieljährige Selbstbeobachtungen, wie auch auf die Resultate einiger experi¬
menteller Untersuchungen, die ich mir Vorbehalte, künftig hin zu ver¬
öffentlichen. Uebrigens berufe ich mich auch auf mehrere Beobachtungen,
die bei den Versuchen von Ebbinguaus, Mülleb und Schumann, Binet und
Henri, Hugo Eckeneh, R Wahle und Radoslawow-Hadji-Denkow gemacht
wurden.
J. D. Stoops. The Concept of the Self. Philos. Review 10 (6), 619—629. 1901.
Eine Abhandlung, die der Hauptsache nach erkenntnifstheoretischer
Natur ist. Der Grundgedanke ist die Scheidung zwischen einem negativen
und positiven Selbstbewufstsein. Dort wo, wie im Impuls, das Bewusst¬
sein seine Vorstellung in unmittelbarer Activität realisirt, ist noch gar kein
Selbstbewufstsein; dort wo Gegenvorstellungen sich zwischen Bewufstsein
und Object drängen, erlebt es schmerzvoll diese Trennung vom Object und
sich als gehemmtes, gestörtes, negatives Selbst; dort, wo das Bewufstsein
als zu erstrebendes, nicht unmittelbar realisirbares Object seine eigene Zu¬
kunft sich gegentiber8tellt, wird es zum positiven Selbstbewufstsein. Jenes
ist das Selbstbewufstsein des Hindu’s, dieses das des Christen.
W. Stern (Breslau).
O. Ganzmann. Ueber Sprach- and Sachvorstellangen. Ein Beitrag zur Methodik
des Sprachunterrichts. Schiller-Ziehen 4 (6). 1902. 80 S.
Nach einer Einleitung, welche sich im Sinne von Ziehen’s Associations¬
psychologie über das Wesen der Sachvorstellungen und Sprachvorstellungen
verbreitet, kommt der Verf. durch eine Betrachtung des Verhältnisses
der Sprach- und Sachvorstellungen an sich (S. 35) zu dem Er-
gebnifs, dafs wir zwei Arten von Vorstellungsbildung unterscheiden können:
die eigentliche Vorstellungsbildung aus Empfindungen und
Empf indungscombinationen und die Bildung von Vor¬
st ellungscombinationen aus Vorstellungen ohne ent¬
sprechende Empfindungscombinationen. Jener folgen die Worte
nach, dieser gehen die Worte voraus. Diese Untersuchung benutzt er zur
Erkennung des Unterschiedes zwischen Beschreibung und Erzählung.
Die Beschreibung ist der sprachliche Ausdruck für jene, die Erzählung für
diese Vorstellungsbildung. Für den Sprachunterricht folgert er hieraus,
dafs die Erzählung für Herstellung von Vorstellungs-
combinationen die idealste Form der sprachlichen Dar¬
stellung sei.
Die Lautsprache geht unter normalen Verhältnissen der Schriftsprache
voraus. So hat auch beim Unterricht die gesprochene Sprache der
Schriftsprache vorauszugehen.