Literaturbericht
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A. KntscmtANs. Die Dimensionen des Raumes. Philos. Studien 19 (Wundt-
Festschrift I), 310—417. 1902.
Der Yerf. berührt kurz die Strömung, die sich zu Anfang der psycho¬
logischen Experimentalforschung gegen die Mefsbarkeit psychischer, inten¬
siver Gröfsen richtete. Er weist auf den Umschwung hin, der sich hin¬
sichtlich der Auffassung der Begriffe Ausdehnung und Gröfse innerhalb der
projektiven Geometrie vollzieht und stellt die Fragen auf: „Messen wir
denn im Grunde genommen je etwas anderes als intensive Gröfsen?
Ist Ausdehnung überhaupt Gröfse, Qualität?“ — Die interessante Abhand¬
lung gliedert sich weiter in die beiden Hauptteile: „Über die Motive
zur Annahme einer vierten und höherer Dimensionen“ und
„Kritik der Lehre von den Dimensionen“.
Der Verf. analysiert den Vorgang des Messens von Gröfsen und sucht
zu zeigen, dafs dieser kein einfacher sei, sondern sich aus den Teilvor-
gängen des Unterscheidens und des Yergleichens zusammensetze: „Auch
die Zahl ist das Produkt wiederholten Unterscheidens und Vergleichens.
Bein Extensives läfst sich zwar unterscheiden, aber nicht messen. Es be¬
nötigt den Hinzutritt des Intensiven, um Messung möglich zu machen.“
Der Verf. gelangt so zu dem Ergebnis,- dafs alles Messeu überhaupt nur an
intensiven Gröfsen geschehen könne und dafs daher eine Scheidung in
extensive und intensive Gröfsen unhaltbar sei: „Es gibt keine rein exten¬
siven Gröfsen. Was an der Ausdehnung Gröfse ist, das ist im letzten
Grunde doch Intensität. Das Charakteristische an der Ausdehnung ist
nicht Gröfse. Alle Gröfse setzt Intensität voraus, aber die Ausdehnung ist
nicht ein spezieller Fall der Gröfse, obgleich sie die Gröfsenbetrachtung
auch zuläfst.“
Der Raum unserer Anschauung enthält somit für K. ein zweifaches,
„ein ihm ureigenes Qualitatives, das sich nicht näher bezeichnen läfst —
es ist das spezifisch Räumliche, die Ausdehnung — und ein mit Hilfe der
Intensität in ihn hineingetragenes, die Gröfse“. Nur quantitativ ist der
allseitig ausgedehnte Raum, wie der Verf. weiter zu zeigen bestrebt ist
(und zwar unendlich) teilbar, qualitativ aber «t er unzerlegbar. Darum ist
auch weder der Punkt ein Raumelement, noch auch sind Linien, Ebenen,
Flächen anders, denn als Grenzen von Raumteilen im allseitig ausgedehnten
Baume denkbar. Die Lehre, welche dieser qualitativ-quantitativen Doppel¬
natur des Raumes am besten gerecht wird, ist nach dem Verf. diejenige
Wundts von den komplexen Lokalzeichen. Mit der weiteren Ausführung
sucht der Verf. den Beweis zu erbringen, dafs die allgemein und auch in
der Mathematik anerkannte Dreimensionalität des Raumes eine Voraus¬
setzung konventioneller Art Bei, die in der Natur des Raumes keine Be¬
gründung finde und ebenso den, „dafs die auf die unkritische Annahme
des Dimensionsbegriffes aufgebauten ,Überräume‘ der Mathematiker Pro¬
dukte unberechtigter Spekulationen seien“. Hierbei gelangt er noch zu
folgenden Hauptergebnissen :
„Der rein analytisch definierte Dimensionsbegrifl hat mit der
räumlichen Ausdehnung nicht mehr zu tun als der Begriff der unab¬
hängigen Variablen; der ,n-dimensionale Raum' ist nur ein unpassender