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Literaturbericht.
Etwas besser steht es um die Beziehung der einzelnen geistigen
Qualitäten zu Verschiedenheiten im Gehirnbau, aber auch da ist die Aus¬
beute wenig ergiebig. E. Schultze (Andernach).
G. Marinesco. Recherches s«r U Biologie de la cellule nerveuse. Archiv für
Physiologie (1 u. 2), 89—111. 1899.
Marinesco schildert zunächst den Bau der Nervenzelle. Er unter-
scheidet an ihr drei wesentliche Bestandteile : 1. das chromatophile
Element; 2. ein geformtes achromatisches Element; 3. ein amorphes
achromatisches Element, die Grundsubstanz. Die geformte achromatische
Substanz zeigt nicht einen reinen fibrillären (Bbthe), sondern einen netz¬
förmigen Bau; sie dient der „transmission de l’influx nerveux“. Die
chromatophilen Elemente gelten dem Verf. nicht als einfache Reserve¬
nahrungsstoffe, sondern er sieht in ihnen eine Substanz von hoher chemi¬
scher Spannung, in der sich die Erscheinungen der „intégrations et
désintégrations continues“ abspielen; daher seine Benennung „Kineto-
plasma“. Eine Bestätigung seiner Hypothese sieht er in der Thatsache,
dafs bei experimenteller Hyperthermie eine progressive Auflösung der
chromatophilen Elemente statthat, welcher eine zunehmende Schwäche der
nervösen Functionen entspricht. Die chromatophilen Elemente der Zellen
befinden sich in einem labilen Gleichgewicht. Nach Durchschneidung
eines motorischen Nerven treten in den zugehörigen Vorderhirnzellen
charakteristische Veränderungen auf: Anschwellung des Zellleibes, ex¬
centrische Lagerung des Kernes, feinere Granulirung der chromatophilen
Substanz durch Hydratation. Den Vorgang der Regeneration hat Marinesco
am Hypoglossuskern genauer studirt. Der Zellleib wird dunkler, die Zelle
wächst an Volum, die chromatophilen Elemente nehmen immer mehr zu,
erscheinen in verschiedenen Zonen des Zellkörpers zu verschiedenen
Zeiten, schliefslich Restitutio ad integrum. Ein ähnliches Verhalten
zeigen die Zellen der Spinalganglien nach Durchschneidung eines sensiblen
Nerven.
Die Nervenzelle erscheint dem Autor als eine Energiequelle, als ein
Centrum für die Ernährung der Gewebe. Er acceptirt die bekannte
WEioERT’sche Lehre von dem nutritiven und formativen Gleichgewicht
von Nervenparenchym und Gliagewebe; wo Nervenparenchym schwindet,
hypertrophirt bezw. wuchert die Glia. Im normalen Zustand soll nun nach
der Ansicht des Verf.’s das Ernährungsgleichgewicht zwischen den ver¬
schiedenen Bestandtheilen des Nervensystems durch die Wirkung gewisser
von der Nervenzelle produeirter toxischer Substanzen aufrecht erhalten
werden ; diese Substanzen sollen die excessive Entwickelung der sehr
' wachsthumskräftigen Gliazellen hintanhalten.
Wichtiger als diese recht fragwürdigen theoretischen Erörterungen
sind die Ausführungen des Verf.'s über die Wechselwirkung der Neurone^
Unter dem Einfiufs peripherer Reize steht der normale trophische Tonus;
er ist nöthig für die anatomische Integrität der Gewebe und wichtig für
das normale Vonstattengehen der vegetativen und psychischen Vorgänge.
Eine Leitungsunterbrechung in einer sensiblen Rückenmarksfaser fährt zu
langsamem Ernährungsrückgang im zugehörigen Neuron (atrophie neurale