Nahrung. Winterschlaf.
XXXV
Wenn der Herbst fast gu Ende geht und der Winter hereinbricht, ziehen sich die Schläfer
in ihre künstlichen, sehr warmen Schlupfwinkel zurück, rollen sich zusammen und fallen nun bald in
eine schlafähnliche Erstarrung. Ihr Herzschlag wird langsamer und ihre Äthmungsthätigkeit Dem
entsprechend in auffallender Weise gemildert oder unterbrochen; die Körperwärme nimmt ab; die Glie¬
der werden steif und kalt; der Magen und Darmschlauch entleeren sich vollständig und schrumpfen zu¬
sammen. Der ganze Leib erhält hierdurch eine Fühllosigkeit, die ohne Gleichen ist. Um hierzu einen
Beleg zu geben, will ich erwähnen, daß das Herz eines im Winterschlafe enthaupteten Murmel¬
thiers noch drei Stunden nach seiner Tödtung fortschlug, anfangs 16 bis 17 Mal in der Minute,
dann immer seltener; — der abgeschnittene Kopf zeigte nach einer halben Stunde noch Spuren von Reiz¬
barkeit. Der Winterschlaf ist ein wirklicher Scheintod; das Leben des Schläfers gibt sich blos noch in
Andeutungen kuud. Allein auch nur aus diesem Grunde ist es möglich, daß ihn das Thier überdauert.
Wenn Herz und Lungen wie bei dem lebenden Thiere arbeiteten, würde das im Sommer gesammelte
Fett, welches für mehrere Monate ausreichen muß, bald aufgezehrt fein. Die geringe Athmungs-
thätigkeit aber verlangsamt den Verbrennungshergang im Innern des Körpers in günstigster Weise
für die Erhaltung des Lebens. Ich habe oben mitgetheilt, daß der Winterschläfer während seines
Scheintodes etwa neunzig Mal weniger athmet, als im wachen Zustande, und füge hinzu, daß im ent¬
sprechenden Verhältniß auch die Körperwärme herabgestimmt wird. Ein Wärmemesser, welchen
man in beit Leib eines während des Winterschlafes getödteten Murmelthiers senkte, wies blos noch
TV/ R. Wärme nach, während die Blutwärme der Säugethiere sonst durchschnittlich zwischen 28 und
30° beträgt. Setzt man das schlafende Thier der Kälte aus, so erfriert es, wenn ich nicht irre, schon
bei einer Wärme unter der seines Blutes während der Schlaszeit, und ebenso hat eine plötzliche Er¬
wärmung des Scheintodten den Tod zur Folge; bringt man ihn aber allmählig in höhere und höhere
Wärme, so erwacht er nach und nach, und seine Blutwärme steigt allgemach bis auf die gewöhnliche
Höhe. Uebrigens erträgt kein Winterschläfer auch solches gemachsame Erwecken mehrere Male nach
einander. Jeder Wechsel ist ihm während seines Halblebens schädlich. Hieraus erklärt sich wohl
auch, daß er sein Winterlager immer nur in Höhlen nimmt und diese durch sorgfältiges Verstopfen
noch besonders gegen die äußere Luft und deren Wärmewechsel abzuschließen sucht. Es ist höchst
merkwürdig, daß Siebenschläfer aus fremden Ländern, wenn sie zu uns gebracht werden, im Winter
ebenfalls ihren Todtenschlaf halten, während sie Dies in ihrer Heimat gerade in der Zeit der größten
Hitze thun. Allein wir sehen auch hieraus wieder, daß die Zeit der Dürre heißer Erdstriche eben
nur mit unserem Winter verglichen werden kann, niemals mit unserem Sommer, wie so oft selbst von
gediegenen Leuten fälschlich geschieht.
Mit dem Herannahen des Frühlings erwacht der Winterschläfer und fristet sich nun sein
Leben zuerst mit den Schätzen, welche er im vorigen Sommer sich eintrug. Anfangs schläft er auch
nach dem Erwachtsein aus deiinTodtenschlafe noch oft und lange, doch mehr in gewöhnlicher Weise;
sobald er aber sein Schutzlager verlassen kann, überkommt ihn große Aufregung; denn nunmehr geht
er seinem Geschlechtsleben nach. Nur die kleineren Säugethiere verfallen in einen wirklichen Winter¬
schlaf, die größeren, wie z. B. der Bär, schlafen zeitweilig, obschon tage-, ja vielleicht wochenlang,
nehmen aber während dieser Zeit ebenfalls fast gar keine Nahrung zu sich.
Einige Säugethiere unteruehmen zuweilen Reisen, um ihre Lage zu verbesferu; doch kann
man bei unserer Klasse nicht von einer wirklichen Wanderung sprechen, wie bei den Vögeln. Es
kommt allerdings vor, daß sie eine Gegend verlassen und in eine andere ziehen, der Weg aber, den sie
zurücklegen, ist nie so lang, daß er mit dem Zuge der Vögel verglichen werden könnte. Von Nah¬
rungsmangel gepeinigt, rotten sich die Lemminge, jene muntern und anziehenden Bewohner der nor¬
dischen Gebirge und Ebenen, in großer Masse zusammen und wandern nun gemeinschaftlich in die
Tiefe hinab, setzen sogar über Meeresarme, gehen aber dabei fast regelmäßig zu Grunde; südafrika-
uische Antilopen, das Nenthier und der nordamerikanische Büffel, die wilden Esel, die See¬
hunde und Wale treten aus demselben Grunde noch weitere Wanderungen au, und einige Fleder¬
mäuse haben sogar einen beschränkten Zug. Allein alle diese Reisen stehen unendlich weit hinter
denen der Vögel zurück.
Das Leben der Säugethiere ist überhaupt viel einförmiger, als das der beweglichen Luft¬
bewohner. Blos die gescheiteren Arten suchen in dieses Einerlei einige Abwechselungen zu bringen,