376 Leibnizische Gedanken in der neueren Naturwissenschaft.
sie von selber in den Monaden sich abwickeln, vielmehr
ist an Stelle der gehobenen Schwierigkeit, die in dieser
Form doch nur in dem Widerspruch willkürlich ge¬
bildeter Begriffe liegt, die andere getreten, daß die
geistigen Vorgänge ganz außerhalb aller Kausalität ge¬
stellt sind. In der Tat läßt Leibniz in der Monadenwelt
keine anderen Bestimmungen zu als durch jene End¬
ursachen, welche aus der Weltanschauung zu verbannen
das Ziel theoretischer Naturforschung ist. Und während
die geistigen Dinge nach Zwecken geordnet sein sollen,
legt er sich nicht einmal die Frage vor, wozu denn nun die
ganze Körperwelt, wozu insbesondere der unendlich
kunstreiche Bau der Sinnes- und der Bewegungswerk¬
zeuge erschaffen wurde, da doch weder jene irgendwie
die Vorgänge in der Geisterwelt zu beeinflussen, noch
diese irgendwie ihr zu dienen vermögen.
Wenn dieser Fehlgriffe des großen Mannes heute,
an seinem Ehrentage, hier gedacht wird, so geschieht
dies nicht, um ihn zu verkleinern. Die Betrachtung der
Irrwege eines solchen Kopfes ist vielmehr geeignet, uns
selber zur Demut zu stimmen. Der sich mit Vorliebe
l'Auteur du Systeme de l'Harmonie préétablie nannte,6
und nicht erst spät und krankhaft wie Newton, sondern
in voller Kraft und mit sichtlichem Behagen in theolo¬
gischen Spitzfindigkeiten sich erging: es war Newton’s
Nebenbuhler in der Erfindung eines der mächtigsten
Werkzeuge des menschlichen Geistes; es war der, von
welchem Diderot, selber der Begabtesten Einer, schreibt:
„Wenn man auf sich zurückkehrt, und die Talente, die
man empfing, mit denen eines Leibniz vergleicht, wird
man versucht, die Bücher von sich zu werfen und in
irgend einem versteckten Weltwinkel ruhig sterben zu
gehen.“7 So werden wir inne, wie die stolze Höhe, auf
der wir zu wandeln meinen, nicht unser Verdienst ist,
sondern das unserer Zeit, und wie vielleicht unseren
Nachfolgern, im Lichte der Erkenntnis ihrer Tage, einst
unsere beste Einsicht erscheinen wird.
Aber noch in anderer Rücksicht ist es lehrreich,
sich dieser Dinge zu erinnern. Wie Bücher, haben auch
Philosopheme ihre Schicksale. Nachdem sie das Los
menschlicher Meinungen erfuhren, geglaubt und bestritten,