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Hans Berger:
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bildlich dargestellt. Wir erkennen aber ferner, daß die einzelnen Arbeitsperioden
sehr kurz sind und ebensolange, in manchen Fällen sogar längere Ruhepausen ein¬
geschoben werden. Was hier an dem Beispiel des Kopfrechnens der mit geschlossenen
Augen im halbverdunkelten Zimmer in bequemer Rückenlage ruhenden gesunden
Versuchsperson gezeigt wurde, gilt für jede geistige Arbeit. Am tiefgreifendsten
sind die Veränderungen des E. E. G.s, wenn bei einer geistigen Arbeit eine Richtung
der Aufmerksamkeit auf äußere Reize mit dieser zusammenfällt, wie z. B. beim Lesen
einer schwierigen wissenschaftlichen Abhandlung. Während der Lesezeit besteht
dann das E. E. G. fast ausschließlich aus ß-W. Alle diese Befunde haben mich zu
der Überzeugung gebracht, daß diese Veränderung des E. E. G.s, wie sie unter der
Einwirkung eines beachteten Sinnesreizes und bei einer geistigen Arbeit eintritt,
lediglich mit der Anspannung der Aufmerksamkeit verknüpft und dadurch
auch bedingt ist ! Die Mißerfolge eines berühmten Physiologen, bei Blinden a-W.
zu erhalten, d. h. ein passives E. E. G. zu erzielen, beruhten, wie ich zeigen konnte,
darauf, daß diese Blinden trotz ihrer etwaigen gegenteiligen Versicherungen ängst¬
lich oder durch andere Sinnesreize abgelenkt waren. Die mir von Anfang an auf¬
fallende merkwürdige Wirkung des Öffnens der Augen auf das passive E. E. G.,
das auch meine Nachuntersucher gesehen und das sie eben zum Teil zu falschen
Schlüssen verleitet hat, ist dadurch bedingt, daß der vollsinnige gesunde Mensch
ein „Sehwesen“ ist. Die Vorgänge der Aufmerksamkeit sind bei ihm mit dem Seh¬
vorgang aufs innigste verbunden und verwoben. Ein Richten der Aufmerksamkeit
auf einen Vorgang ist mit einer entsprechenden Richtung der Augenachsen und einer
Einstellung der Akkomodation aufs innigste verknüpft. Ja, es geht doch so weit,
daß selbst bei der sog. „Mimik des Denkens“ das Richten der Augen in die Ferne
und eine gleichzeitige Entspannung der Akkomodation eintreten. Aufmerksamkeit,
willkürliche und unwillkürliche, sind beim Menschen fest mit dem Sehvorgang ver¬
bunden, verkoppelt, wenn ich so sagen darf. Ein Augenschluß bedeutet daher auch
im allgemeinen ein Ausschalten der willkürlichen Aufmerksamkeit, wenn sich der
Betreffende nicht etwa besonders vornimmt, nun den Gehörsreizen oder anderen
Sinnesreizen seine ganze Aufmerksamkeit zuzuwenden. Ich habe die Form des
E. E. G.s, wie sie sich bei jeder Anspannung der Aufmerksamkeit, mag dieselbe auf
einen Sinnesreiz, auf einen Vorgang im eigenen Körper oder auf eine geistige Arbeit
gerichtet sein, und die eben darin besteht, daß die a-W. mehr oder minder deutlich
wegfallen und durch kurze /?-W. von 11 bis 24 a Länge ersetzt werden, kurz als
aktives E. E. G. bezeichnet. Psychologisch gedeutet entspricht nämlich diesem
abgeänderten E.E. G. ein Zustand, in dem wir das Gefühl der eigenen Tätigkeit haben.
Bei längerer Dauer dieses Zustandes haben wir auch ziemlich bald ein deutliches
Ermüdungsgefühl, das beim passiven E. E. G. zu fehlen pflegt. Es handelt sich hier
um unser Eingreifen in den passiven Vorstellungsablauf und seine ständige Über¬
prüfung. Es ist ausnahmslos eine aktive Bewußtseinstätigkeit (ein Aufmerken,
eine geistige Arbeit, ein Denken im eigentlichen Sinne), wobei sich eben auch auf
geistigem Gebiet die bekannten Schwankungen der Aufmerksamkeit, auch bei der
geistigen Arbeit geltend machen, entsprechend den Schwankungen, die wir dabei